Sonderbares im Tannenwäldchen

In einem kleinen Tannenwäldchen lebten einst viele Tannenbäume. Sie genossen es, wenn die Vögelein sich auf ihren Zweiglein darniederließen, ihre Nestlein bauten und ihren Nachwuchs großzogen. Ab und zu huschte ein Rehlein gefolgt von einem Wölflein durch das Tannenwäldchen, was die Bäumlein sehr aufbrachte, denn sie waren sehr friedliebend. In solchen Fällen sorgten sie immer kollektiv dafür, daß das Rehlein nicht von dem Wölflein gefangen wurde. Dies sprach sich unter den Tierlein im Wäldchen sehr schnell herum. Die Eichhörnchen suchten genauso Schutz im Tannenwäldchen, wie die Mäuslein, die Häselein und die Wildschweinchen. Es war eine richtige Idylle und jede Kreatur war es zufrieden.

Doch nicht jede. Denn ein Tannenbaum war anders als die anderen. Sein Name war Paul, doch die anderen sagten nur Paulinchen, weil er immer so tuntig sprach, was ihn anfangs sehr betrübte, da er sich noch nicht zu seinem Coming-Out durchgerungen hatte.

Eines Tages kam jedoch ein Tannenbaum vom anderen Ende des Waldes zu Pauline und beschloß, sich neben sie zu pflanzen. Er fragte sie nach ihrem Namen, und obwohl sie es eigentlich so haßte, sagte sie "Ich bin das Paulinchen!". Gute Güte! Was hatte sie denn da gesagt? Doch der andere Baum lachte nur herzerfrischend aus vollem Stamme und stellte sich als Betty vor. Er war nämlich auch anders als die anderen Tannen im Tannenwäldchen. Durch Astpropaganda hatte er von einem Tannenbaum erfahren, der anscheinend etwas komisch sprach. Da auch er von den anderen Tannen in seiner Umgebung sehr gehänselt wurde, hatte er sich zu diesem Umzug entschlossen. Die beiden erzählten sich ihre Geschichten und waren nach kurzer Zeit ein Liebespaar. Es war für sie das Höchste der Gefühle, sich gegenseitig ihre Tannenzapfen zu liebkosen und ihr Reisig zitterte in solchen Momenten in höchster Erregung.

Eine sehr schöne Zeit begann für die beiden und sie standen aneinandergelehnt im Mondenschein und seufzten vor sich hin. Von den anderen Tannen im Tannenwäldchen wurden sie gemieden und die Nachbartannen rückten ein Stückchen von Paulinchen und Betty ab.

Eines Nachts floh wieder ein Rehlein vor einem Wölflein in das Tannenwäldchen. Doch alle Tannen schliefen bis auf Paulinchen und Betty, die sich gerade heftig liebten. Durch diesen glücklichen Umstand erkannten sie blitzschnell die Notsituation und legten schützend ihre Zweige um das verschreckte Rehlein. Das Wölflein zog grimmig von dannen. Dabei trat es auf einen Ast, der lauthals knackte und die anderen Tannen im Tannenwäldchen wurden aus ihren süßen Träumen aufgeweckt. Diese erkannten, daß der gute Ruf des Tannenwäldchens gerettet war, da die beiden homosexuellen Tannen so achtsam gewesen waren. Sie integrierten das Liebespaar sofort wieder in ihre Gemeinschaft und nach und nach trauten sich auch die restlichen Klemmschwestertannen, die sich bisher immer versteckt gehalten hatten, zu ihrem Coming-Out.

Kontakt zum Autor: Markus Schmid - markus@fun.de
zurück zu Markus Schmid zurück zur Startseite