Er folgt mir
bis ins Terrassencafé in der 5. Ebene des Museums, ganz hinten bei den
Impressionisten, deutet auf den Stuhl mir gegenüber, wartet mein Zeichen der
Zustimmung gar nicht ab und setzt sich. Erst jetzt fallen mir seine schräg
übers rechte Auge gezogene Mütze und der dunkle, am Kragen und an den Ärmeln
leicht abgenützte Wintermantel auf. Ich hab den Kerl schon einmal gesehen!
War’s oben am Montmartre? Bevor ich mir ganz sicher sein kann, beginnt er
auch schon mit seiner Geschichte.
Sie kennen sich in der Malerei aus. So etwas sehe ich auf den ersten Blick.
Ihnen ist die falsche Kirche von Auvers beim Eingang sofort aufgefallen. Sie
ist heuer wesentlich kleiner als die Jahre vorher. Stimmt’s? Und wissen Sie,
woher das kommt? Sie haben eine andere Kopie aufgehängt.
Sie haben sich darüber auch schon so Ihre Gedanken gemacht. Stimmt’s?
Er sagt zu oft „stimmt’s“, fällt mir auf. Die Kellnerin kommt vorbei. Ich
bestelle einen Café au lait. Auch mein Gegenüber nickt der Kleinen zu. Als
die beiden Tassen auf dem Tischchen stehen, erzählt der Typ weiter.
Also, kaum eines der wirklich teuren Bilder hängt hier noch im Original.
Sind alles Kopien, gut gemacht, aber eben nur Kopien. Sie haben kurz nach
dem Anschlag auf die Mona Lisa damit begonnen. Ganz Paris ist seit
Jahrhunderten durch ein immenses unterirdisches Geflecht an Gängen, Höhlen
und Sälen in mehreren Ebenen unterminiert. Aber darin ist Paris ja nicht
allein auf der Welt. Stimmt’s?
Der Louvre und das Musée d’Orsay haben ein ganz besonderes Leben unter Tage.
Gegen die anderen Gänge komplett abgeschottet, lässt es sich unter den
beiden Museen direkt schöner leben als hier oben bei der Unmenge von
ahnungslosen Idioten.
Tief unter uns sitzen – auch jetzt, in diesem Moment - etliche Malergenies,
die gerade Monet, Dégas, van Gogh und Kollegen in mühevoller Kleinarbeit
kopieren. Rund 80 Prozent aller Ausstellungsstücke sind auf diese Weise in
den letzten Jahren schon dupliziert worden. Und einmal im Monat werden
nachts etliche Bilder gegen die zuletzt im Keller – wie ich den Untergrund
nenne - angefertigten Kopien ausgetauscht. Sie werden sich fragen, wo denn
dann die Original bleiben. Stimmt’s?
Lange Zeit waren die Amis die Bestbieter, aber im Moment sind die Oligarchen
die eindeutigen Marktführer.
Aber es wird langsam Zeit für mich. Danke für den Kaffee.
Er steht auf, nickt mir zu und im Vorbeigehen flüstert er mir ins Ohr: Ich
muss wieder hinunter, um an den Sonnenblumen weiter zu arbeiten. Ist eine
harte aber schöne Arbeit. Stimmt’s?
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