Geschlossene Gesellschaft
Der Raum ist hell erleuchtet, das erkennt man sogar durch geschlossene
Augenlider. Selbst durch geschlossene Augenlider tut die Helligkeit weh,
sie schmort sich als rosaroter Schleier unentrinnbar in den Kopf. Und
obendrein ist es laut in diesem Raum, überall wird geschrien und
gestöhnt, fast unmenschliches Stöhnen und Schreien, die von jeder Menge
dreckigem Schleim und Blut im Hals der dazugehörigen Menschen erzählt.
Es ist überall und es kommt von überall her und es dringt in meine
Ohren, bringt mein Bewußtsein zurück, bringt mich in den Tag zurück.
Oder in die Nacht, ich weiß nicht, was von beidem gerade herrscht.
Überall Husten und Keuchen und Stöhnen und Schreien, von überallher, von
Menschen. Um mich herum. In dem hellen Raum, von dem ich sonst nichts
weiß, nicht mal wie ich hergekommen bin, müssen überall Menschen sein.
Ich öffne die Augen, ich bin voller Blut.

Mein Kopf tut weh, was nicht nur am hellen Licht und dem schmutzigen
Lärm der Menschen liegt, sondern irgend etwas mit dem Blut zu tun haben
muß, das aus ihm rausläuft, aus irgendwelchen Wunden, die ich nicht
sehen kann, nur spüren, deren Herkunft und Ursache ich nicht kenne. Mein
Hemd ist rot und meine Hände auch, die Schmerzen bringen mich ganz in
diesen Raum, weg aus der warmen Dunkelheit, in der es nur laut war. Ich
sehe mich um, der Raum ist groß, überall sind Fliesen auf dem Boden, an
den Wänden, anstatt Fenster überall nur Fliesen und Neonlicht. Und
Menschen, kranke Menschen, ich kennen keinen von ihnen, manche bluten
auch, so wie ich, liegen und wälzen sich auf dem Boden, manche sitzen
auf Bänken aus Metall, aus blitzendem Chrom und tropfen aus Nase und
Mund und überhaupt aus allen zur Verfügung stehenden Körperöffnungen den Fliesenboden voll. Die Fliesenleger müssen sich sowas gedacht haben,
denn der Boden ist nicht eben, sondern schräg. Zur Mitte hin fallen
beide Seiten ab, und all die vielen roten, gelben, weißen Tropfen aus
den Menschen werden dort zu einem Rinnsal, sickern langsam in einen
Abfluß. Jetzt bemerke ich auch den entsetzlichen Geruch.

Ich würde gerne wissen, wie ich hergekommen bin, warum ich blute und mir
alles wehtut. Warum ich hier bei diesen Menschen liege. Aber das letzte,
was ich noch weiß ist, daß ich in diesem Raum lag mit geschlossenen
Augen und dem Lärm zugehört habe. Das war vor drei Minuten und bedeutet, daß ich alles, was vorher war, vergessen habe, wie viele Jahre das auch immer gewesen sein mögen, wie alt ich bin, habe ich auch vergessen.
Neben mir bricht ein alter Mann zusammen, der aussieht wie ein
Landstreicher, voller Narben, Pickel und Geschwüre im Gesicht, dreckig
und zerzaust. Er stöhnt, dann knicken seine Knie ein. Er fällt, ohne
sich abzustützen, er ist bei Bewußtsein, aber der Reflex funktioniert
nicht mehr, sein Kopf und seine Schulter schlagen gegen eine der
festgeschraubten Chrombänke, irgend etwas knackt, jetzt ist er ohne
Bewußtsein, dafür versorgt er das Rinnsal in der Raummitte mit einem
dünnen dunkelroten Zufluß. Sein Kopf liegt jetzt neben meinem und er
stinkt entsetzlich, nach Krankheit, nach Scheiße und Müll. Ich kann das
nicht aushalten, ich setze mich auf und kotze. Alles auf die Fliesen und
auf meine Füße und nachdem sich der Schwindel und die Krämpfe gelegt
haben, wird es besser. Ich sitze und weiß jetzt wenigstens, daß ich
irgendwann während der letzten Stunden Spaghetti gegessen haben muß. Ich
sehe mich wieder um, diesmal kann ich mehr erkennen, der große
Fliesenraum ist voll mit Menschen, wie dem Landstreicher, der neben mir
den Geist aufgegeben hat. Ich bin auch hier und muß mich wohl fragen, ob
ich zu ihnen gehöre. Meine Kleidung, so schmutzig sie auch ist, sieht
nicht danach aus, sie sieht neu aus.

Außerdem sind meine Bartstoppeln ziemlich kurz, ich muß mich gestern
oder vorgestern rasiert haben. Heftige Stiche im Kopf unterbrechen, sie
sprengen für kurze Zeit das ganze kleine Universum dieses Raumes
inklusive mir selbst in die Luft, alles geht unter in einer Spirale aus grellen Farben und Schmerzen. Mein Kopf sinkt auf meine Brust, von meinen Armen umklammert, als es aufhört, erkenne ich anhand der roten Abdrücke auf den Hemdsärmeln, daß ich eine Platzwunde an der Stirn haben muß. Ich taste mit der Hand nach ihr, sie ist schon älter und bestimmt gerade eben nicht zum ersten Mal wieder aufgeplatzt.

Irgend etwas passiert. Woanders, nicht hier bei mir. Am anderen Ende des Raumes tauchen in weiße Kittel gekleidete Menschen auf. Sie führen einige der rumliegenden und rumstehenden Menschen weg. Ich versuche, aufzustehen und falle beim ersten Versuch wieder hin, schon wieder Schwindel in meinem Kopf zwingt mich dazu. Zwei der in weiße Kittel gekleideten Männer gehen an mir vorüber. Ich würde sie gerne fragen, wieso ich hier bin und was mit mir passiert ist, aber selbst, wenn ich den Mund zum Sprechen aufbekommen würde, was mir nicht gelingt, weil alles weh tut, wären sie wahrscheinlich genau so an mir vorbei gegangen, wie jetzt. Mich wundert das nicht, denn es gibt hier jede Menge Menschen, die in noch schlechterem Zustand sind als ich. Die weißen Männer verschwinden am Ende des Raumes durch eine Metalltür. Eine Frau in meiner Nähe beginnt plötzlich zu schreien. Sie ist von oben bis unten mit Schlamm vollgeschmiert und schreit aus voller Kehle, keine Wörter, nur Laute, sie schreit, bis ein junger Mann mit einem zugeschwollenen Auge und zerrissener Hose beginnt, auf sie einzuschlagen. Zuerst platzt die Unterlippe der Frau und ein
unaufhörlicher dunkelroter Blutstrom ergießt sich über ihren Hals, danach bricht ihr Nasenbein unter den Schlägen kaputt und noch mehr dunkelrotes Blut platscht auf die Fliesen. Nach fünf oder sechs Fausthieben hört sie auf zu schreien und der junge Mann hört auf, sie zu schlagen. Das alles passiert mit in einer seltsamen Ruhe, ohne Hektik oder Aufregung, es ist die normalste Sache der Welt.

Es wird unerträglich in diesem Raum, ich muß hier raus, ich muß weg,
egal wohin, wo ich hergekommen bin, weiß ich sowieso nicht. Ich beginne,
mich zu der Tür zu schleppen, durch die die weißen Männer verschwunden
sind, mein Weg führt vorbei an Zellhaufen aus Blut und Dreck und verschlissenen Körpern, vorbei am Gegenteil von Leben und ich bin
mittendrin. Ich krieche auf allen Vieren durch diesen ekelhaften Morast
aus kaputten Menschen und setze immer wieder meine Hände in die Pfützen
aus Blut, Urin und Scheiße, der Gestank wird immer schlimmer, krallt
sich unauslöschlich in meine Nase. Ich wünsche mir nichts sehnlicher,
als nicht wieder das Bewußtsein, die Kontrolle über mich zu verlieren,
ich will nicht mit dem Gesicht voran in diese unsagbar stinkenden
Körperflüssigkeiten fallen.

An der Wand rechts neben mir, ungefähr 50 Zentimeter über dem Boden
steht "Die Welt, in der die Hölle". Irgend jemand hat dort mit einem
schwarzen Filzstift diesen Satz hingeschrieben, ohne ihn zu beenden, aus
welchen Gründen auch immer. Ich lese den Satz, ich mache Pause, ich
komme nicht weiter voran, weil ich den Satz gelesen habe. Da draußen ist
die Welt, aus der ich herkomme, das weiß ich noch, ich will zurück in
diese Welt, egal ob in ihr die Hölle oder nicht. Und ich will wissen, was zum Teufel mich aus ihr raus katapultiert hat, rein in diesen Raum, von dem niemand weiß, daß er in der Welt existiert, solange er nicht drin war. Die Welt, in der die Hölle...

In mir steigen jetzt Bilder hoch, von gestern, von letzter Woche, ich weiß es nicht, es sind Bilder aus der Vergangenheit, ein Streit mit irgend jemand, Schreie, Wut, krachende Türen. Ich weiß nicht, ob ich den Bildern trauen kann, aber im Moment habe ich nichts anderes als sie, mir bleibt keine Wahl. Ich versuche, sie zurück zu verfolgen, ich will ihnen auf den Grund gehen. Wenn sie mir schon nicht den Weg raus aus dieser Müllhalde zeigen, dann vielleicht den Weg rein. Aber es hat keinen Sinn, der Lärm, die Schmerzen setzen die Leitung offline, ich komme nicht durch bis zum Ende, die Verbindung wird unterbrochen. Ich krieche über zwei kleine Kinder, ein Junge und Mädchen. Sie liegen nebeneinander und schlafen, höchstens zehn Jahre alt und dreckig, als hätten sie sich fünf davon im Schlamm gewälzt. Ich krieche über sie drüber, der Weg um sie herum ist zu anstrengend, davon werden sie wach und fangen an zu wimmern in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Ich beginne, meinen Verstand zu verlieren. Man könnte ab jetzt rückwärts zählen, von hundert an vielleicht und bei null wäre ich dann total verrückt. Komplett wahnsinnig und dann endlich hier zu Hause. Ich bekomme Angst und beeile mich.

Die Tür geht wieder auf und die Kittelmänner kommen zurück. Sie stolpern
fast über mich, weil ich mich schon bis vor die Tür geschleppt hab. Ich
will sie ansehen und mit ihnen reden, aber ich kann sie nicht fixieren,
ich sehe nur verschwommene dunkle Klumpen, mir ist wieder schwindelig.
Einer von ihnen hebt mich hoch, greift unter meine Armen und reißt mich
nach oben. Er hat Erfahrung, denn er steht hinter mir, so daß ich nicht
ihn, sondern zum zweiten Mal mich selbst vollkotze. Danach wird es
besser, ich kann wieder einigermaßen klar sehen und frage sie, wo ich
bin, wie ich hergekommen bin. Wahrscheinlich war nicht ein verständliches Wort dabei, weil ich meine Muskeln nicht unter Kontrolle habe. Sie sehen mich nicht an. Sie schleppen mich weg. Sie gehen mit mir durch die Tür, das war alles, was ich wollte. Sie schleppen mich durch einen Flur, der genauso aussieht, wie der Raum, weiße Kacheln und Neonlicht.

Sie schleppen mich in ein Zimmer, sie legen mich auf ein weißes Bett und
schließen die Tür zu. Sie haben nicht ein Wort mit mir geredet.
Jetzt liege ich allein in einem Zimmer oder besser in einer Zelle, die
Tür ist von außen verschlossen, ich liege auf dem Rücken und versuche,
mich nicht zu bewegen, ich denke nach. Alles, was mir vor ein paar
Minuten in Ansätzen über meine Vergangenheit wieder eingefallen ist, ist
weg, meilenweit entfernt von sicherer Wahrheit. Ich habe keine Ahnung,
ob ich mich mit irgend jemandem gestritten hab oder nicht, alles wieder
weg, alles beginnt erst wieder auf diesem Schrottplatz von Menschen.
Aber ich bin endlich allein und nicht mehr zwischen den anderen kaputten
Leuten, ich bin allein und endlich herrscht Ruhe. Mich quälen auch in
meiner neuen Umgebung die alten Fragen und meine blutenden Löcher
obendrein, viel hat sich nicht geändert. Aber ich bin allein und endlich
ist kein Lärm mehr da, der versucht, mich auf hinterlistige Weise vom
Leben zum Tod zu überführen. Daß der Lärm und der Gestank jetzt nicht
mehr da sind, ist natürlich keine Garantie dafür, daß genau das nicht
trotzdem passiert. Ich überlege, ob das eine Rolle spielt und merke, wie
egal mir das im Moment ist. Ich mache die Augen zu, ich schlafe ein und
wache, wenn ich Glück habe, nicht mehr hier oder vielleicht auch gar
nicht wieder auf, wen kümmert´s, mich nicht.

Nach Dunkelheit, von der ich nicht weiß, wie lange sie gedauert haben
mag, werde ich wieder wach, mache ich die Augen wieder auf. Ganz in der
Tradition des Lebens, an das ich mich noch erinnern kann, welches hier
in diesen Räumen begann, hat sich nichts verändert. Ich liege allein in
der kleinen Zelle. Sie ist eine Miniausgabe des großen Fliesenraumes,
hier sind auch überall nur Fliesen und irgendein diffuses indirektes
Neonlicht von irgendwo her. Allerdings hat sie den nicht zu
unterschätzenden Vorteil der Stille. Ich liege auf einer weißlackierten
Metallpritsche. Und eine Matratze hätte wirklich nicht zu der sehr
speziellen Atmosphäre dieser Örtlichkeiten gepaßt.

Ich habe Angst, mit einem Schlag sitzt sie mir im Nacken und reißt an
mir. Hunderte Gedanken rasen mir durch den Kopf, viel zu schnell, so
schnell kann ich nicht folgen. Sie hinterlassen nach ihrem Verschwinden
nur ein Gefühl von tiefgreifender und grundlegender Panik. Ich komme mir
vor, wie ein gehetztes Tier und mein Puls hält sich tapfer irgendwo bei
180. Mich erschreckt, daß ich nicht mal formulieren könnte, wovor ich
eigentlich Angst habe.

Die Schmerzen, vor allem die Kopfschmerzen, haben etwas nachgelassen und ich fühle neben der Panik irgendwas, das in Richtung Leere geht. Leere,
Stille, Ruhe. Fast etwas, das ich mir wünsche, was sicherlich vermessen
ist angesichts der allgemeinen Sachlage.

Aber bevor ich anfange, mich in irgendeiner Art und Weise wohl zu
fühlen, steigen in meinem Kopf wieder die Fragen hoch, wieso ich hier
bin und vor allem, wo ich hergekommen bin. Aber es ist anders.
Offensichtlich hat sich während meiner Schlafpause etwas verändert. Ich
beginne, am Sinn dieser Frage zu zweifeln.

Es wird mir sowieso nicht einfallen, macht es dann Sinn darüber
nachzudenken? Macht es Sinn, überhaupt über irgend etwas nachzudenken,
wenn einem der Hals mit altem, getrockneten Blut verklebt ist? Macht es
nicht. Ich muß husten und dabei platzen die schwarzen Bocken von der
Innenseite meiner Kehle und um nicht zu ersticken, muß ich sie
runterschlucken. Nein, definitiv macht es keinen Sinn über irgendwas
nachzudenken, wenn man Brocken von getrocknetem Blut runterschlucken
muß. Etwas klickt in meinem Kopf und es hört sich an, als klickte es
zum letzten mal. 100, 99, 98, ...

Ich überlege, wie lange ich schon hier bin, ob ich nicht langsam Hunger
oder Durst haben müßte. Ich habe beides nicht, zumindest habe ich nicht
das Gefühl, es in biologischem Sinn überleben zu können, wenn ich essen
oder trinken würde. Völlig sinnlos. Worüber soll ich eigentlich
nachdenken, wenn sich alles, was mir in den Sinn kommt, als völlig
sinnlos herausstellt. Ich lege mich hin, vielleicht kann ich wieder
einschlafen, aber sobald ich die Augen schließe, dreht sich alles und
beginnt auf mich einzustürzen. Oder ich falle von irgendwo runter auf
alles drauf. Das kann ich nicht genau unterscheiden, spielt eigentlich
auch keine Rolle, weil das Ergebnis ja doch immer das Gleiche ist.
Meine Hand tut mir weh. Ich liege auf dem Rücken und sehe meiner Hand
dabei zu, wie sie zittert. Jetzt erst fällt mir auf, daß ich eben, bevor
ich mich wieder hingelegt habe, wie verrückt an die Zellentür gehämmert
habe. Das fällt mir erst jetzt wieder ein. Minuten später. Ich werde
wohl nie erfahren, wieso ich hier bin, was vorher war. Ich werde mit
Sicherheit die Vergangenheit nicht zurück bekommen, wenn ich nicht mal
die Gegenwart mitbekomme. Alles wird immer schlimmer. Geht das?
Etwas anderes geht. Die Tür und zwar auf. Sie zerren schon wieder an mir
rum, nach oben, ich muß aufstehen. Ich stöhne, will "Warum" fragen und
hätte am liebsten eine umfassende Antwort, die alle verschiedenen
"Warums", die ich mit mir rumtrage beantwortet. Ich kann die zu den
Warums gehörigen Fragen nicht stellen, das wären viel zu lange Sätze,
viel zu viele Wörter. Ich kriege ja nicht mal das eine, universelle,
stellvertretende "Warum" aus mir raus. Ich stöhne nur. Kein Wunder, daß
niemand mir antwortet. Aber vielleicht antworten sie ja auch, nur ich
kriege es nicht mit, genau wie das Türhämmern. Dann brauche ich
eigentlich auch nicht auf Antworten zu warten. Ganz kaputt kann mein
Kopf noch nicht sein, er kriegt noch so einige logische Schlußketten auf
die Reihe. Ich bin einigermaßen erstaunt.

Wieder zurück durch den Flur. Ein Neonlicht, noch ein Neonlicht, noch
ein Neonlicht, noch ein Neonlicht und nicht ein einziges Wort. Nur ich,
ich sabber´ still und leise vor mich hin oder besser auf mich drauf,
mein Gott, muß ich ekelig sein. Mit so einem Haufen Elend würde ich auch
kein Wort wechseln, da holt man sich ja was weiß ich für Krankheiten,
wenn man "Hallo" sagt. Die Kittelmänner reißen wie verrückt an meinen
Armen, weil ich der Schwerkraft folgend dazu tendiere, mich formlosen
Klumpen auf die Fliesen fallen zu lassen. Sie reißen sie mir fast aus,
meine Arme. Aber ich würde sie sofort eintauschen, alle beide
eintauschen gegen die Fähigkeit, nur für dreißig Sekunden meinen Mund
gebrauchen zu können. Um mal ein paar Dinge in Erfahrung zu bringen.
Aber es sieht so aus, als hätte ich den Mund schon verloren und wenn das
hier noch zehn Meter so weiter geht, werden die Arme ihm folgen, ohne
mich vorher zu fragen. Scheißwelt. Noch ein Neonlicht, noch ein
Neonlicht, noch ein Neonlicht...

Die Chromtür ist da und die Arme sind noch dran. Sie geht auf und da
sind sie alle wieder. Ich sollte besser sagen: immer noch. All die
Elendshaufen, all die überall unvollständigen Figuren, liegen im eigenen
Dreck und machen genau den gleichen unerträglichen Lärm wie... eben?
Gestern? Vorgestern? Immer schon? Und denselben beschissenen Gestank
produzieren sie auch immer noch, aber wo hätte der auch hin verschwinden
sollen. Auf einmal fliege ich, nach unten natürlich, wohin sonst, die
Kittelmänner haben mich losgelassen. Meine Arme freut das, mich
überzeugt das nicht, weil ich sicherlich nun doch mit dem Gesicht auf
dem Boden landen werde. Eigentlich wollte ich das verhindern, die ganze
Zeit über wollte ich alles so einrichten, daß genau das nicht passiert.
Man kann es nicht verhindern, es ist schon passiert und irgendeine
Flüssigkeit läuft mir in die Augen. Ich weiß nicht, ob sie vom Boden
oder von mir stammt. Aber mal ehrlich, gibt es da noch einen
Unterschied? Mein Gesicht ist letztlich doch hier gelandet, ich konnte
es nicht verhindern und kann es jetzt nicht mehr ändern. Es ist halt so,
man hat nicht alles selbst in der Hand, man muß sich manchmal damit
einfach abfinden. Es wird gegessen, was auf den Tisch

...3, 2, 1, 0. Doch noch mal "klick", diesmal aber das letzte.
Verschwimmt irgendwie vor den Augen, ich lache. Irgendwer lacht. Es
lacht was, ohne aufzuhören. Lachen. Lachen, lachen. Genau, das ist es,
noch ein oder zwei Jahre lachen, dann in aller Ruhe totlachen,
totgelacht umfallen. Warum nicht eher.

Was fällt jetzt schon um, landet auf dem Rücken und lacht immer noch.
Ha. Kugelt wie bescheuert über die Fliesen mit dem Gesicht nochmal durch
die Pfützen. Mit dem Kopf gegen das Eisen. Ha. Egal. Ich gibt's nicht
mehr, nur noch etwas. Nur lachen, warum auch aufhören. Yeah. Was ist die
Welt doch schön, man darf eben nur nicht allzu genau hinsehen.
Kontakt zum Autor: Johannes Rose - jrose@geschichte.uni-bielefeld.de
Copyright 1998-99, Johannes Rose
Alle Rechte vorbehalten
zurück zu Johannes Rose zurück zur Startseite