Auf verlorenem Posten



Als Jungpionier war ich im Gruppenrat meiner Klasse.
Als Agitator hatte ich die Aufgabe mich um die Wand-
zeitung zu kümmern und bei Pioniernachmittagen mit
meiner Klasse über aktuelle Themen zu sprechen.

Als sie am antiimperialistischen Schutzwall mal wieder
einen erschossen, weil er in den Westen fliehen wollte,
fand ich das unmenschlich.
Ich meine, wir waren doch der humanere Staat, hieß es.
Beim nächsten Pioniernachmittag sprach ich das an.

Mandy, die Gruppenratsvorsitzende, übernahm das Wort:
Durch ihr handeln haben unsere Grenztruppen den Frieden
und Sozialismus in unserem Land geschützt, damit wir in
Freiheit zur Schule gehen können. Fleißig und dizipliniert
lernen, um gute Staatsbürger der DDR zu werden und so
beim Aufbau des Sozialismus in unserem Land
mithelfen können!
Der Rest der Klasse stimmte ihr zu.

Das war nicht das letzte Mal in meinem Leben
dass ich auf verlorenem Posten stand.

Wegen meines Fehlverhaltens beschloss der Gruppenrat
einstimmig meinen Ausschluss aus dem Gruppenrat.
Meine Mutter wurde von der Arbeit zum Direktor zitiert.
Nach dem Direktor sagte sie:
Du kannst nicht alles sagen, was du denkst!

Warum nicht?

Weil das eben so ist!

Warum?

Hör auf so dumme Fragen zustellen!
Sonst setzt das was!

Meine Mutter ging noch in die Kaufhalle
schräg gegenüber der Schule, holte zwei Flaschen
Schnaps und wir gingen nach Hause.

 

Kommentare zu dieser Story an: Danny Lummert  henrydekiff@gmail.com
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