Glasvogelschwarm |
Dies ist eine Anthologie des
Glasvogelschwarms
Und so klingen unsere Lieder:
Walter Kiesenhofer: „Sprache: Ob sie tatsächlich den Raum krümmt? Ob Wörter, in Sätzen zu Sonnen gebrannt, neue Milchstraßen zeugen ...“
Gabriele Scharf: „Ich sah auf dem Boden den verwelkten Strauß, der für mich immer noch ein Meer von leuchtendem Blau und goldenem Gelb war.“
Ramona Scheerer: „Auf einmal sind diese Federn überall, umhüllen warm und voller Herzlichkeit. „Willkommen“, wispert es. „Willkommen im magischen Land.“
Adriana Wipperling: „... Vormittags lerne ich das Laufen neu. Mittags schlage ich meine Zähne in die Bretter vor den Köpfen ...“
Anneliese Wipperling: „Im weichen Licht des Abends umarmt der Buchhalter klappernder Reime die schwarze katzenäugige Göttin der Nacht. Das darf nicht sein! ...“ |
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.ddb.de > abrufbar. ISBN 978-3-86901-224-7 Copyright 2009 Engelsdorfer Verlag Herausgeber: Anneliese Wipperling im Auftrag der Autorengruppe „Glasvogelschwarm“ Alle Rechte an den Texten liegen bei den Autoren. Alle Rechte an den Bildern und liegen bei den jeweiligen Künstlern. Die Autoren und Künstler haben dieser Veröffentlichung ausdrücklich zugestimmt. Coverbild und Covergestaltung: © Adriana Wipperling. Illustrationen: © Adriana und Anneliese Wipperling Logo: © Gabriele Scharf Hergestellt in Leipzig, Germany (EU) Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages bzw. der Autorin und der Künstler reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet oder vervielfältigt werden. Preis: 15,85 € Erhältlich über: http://www.engelsdorfer-verlag.de http://www.amazon.de u.a. Online-Anbieter Buchhandel |
Wir sind das Grün der Wüste Leseproben:
1. Adriana Wipperling
Königsblau
Die Welt ist königsblau. Licht ohne Quelle. Licht ohne Leuchten.
Geborgenheit. Unendlichkeit. Stille.
Ich schwimme zwischen Raum und Zeit. Königsblau der Horizont. Matte Strahlen. Staub unter Wasser.
Blasen steigen auf, kapseln das Licht ein, das Leben, das Lachen.
Ich bin frei und schwimme und ersticke.
Einsamkeit.
Ich muss in meine Luftblase zurück.
Für einen Tag war meine Welt königsblau.
Vielleicht nie wieder.
2. Gabriele Scharf
Wieder gefunden
Einmannstück in Uraufführung. Eingetaucht in mattes Licht, nur die Diva erstrahlte im Scheinwerferkegel. An eben jener Stelle eines Seelentheaterstückes, als ihr Gesicht zu einer Maske erstarrte. Das Publikum sah auf ein bloßgelegtes Herz, welches einen Takt lang aussetzte. Dafür gab es Applaus und das Publikum ging nach Hause. Ließ eine Diva allein auf der Bühne, die, wie es sich gebührte, danach in der Garderobe die Beherrschung verlor, dem Bühnenbildner eine Szene machte und auf den Weg in den Waschraum den Regisseur als inkompetent beschimpfte. Vorwürfe eingetauscht gegen Trost. So ein Stück ist unhaltbar. Das wusste die Diva, als sie mit dem Hausmeister ihres Seelentheaters über den Unsinn einer Uraufführung sinnierte. Er sagte zu ihr, dass es dagegen ein einfaches Mittel gäbe. Ein einfaches Mittel, damit die Welt aufhörte, sich im Kreis zu drehen und ein Einmannstück wegen mangelnder Besucherzahlen am übernächsten Tag abgesetzt würde.
Man räumte auf. Sie musste aufräumen, sich gegen die Allmacht eines sich stets veränderten Universums stellen.
Die Diva stellte sich vor, wie sie nach Hause ging und mit dem Aussortieren von alten Liebesbriefen, dem Ordnen unbezahlter Rechnungen und der Vernichtung unbewohnter Spinnweben gegen das Chaos dort draußen vorging.
Vorher aß sie ihren Apfel auf.
3. Ramona Scheerer
Freies Land
Ich wäre gern noch ein wenig an der Küste entlanggewandert, aber ich wusste, das ging nicht mehr. Die Dämmerung nahte. Also weg vom Küstenpfad! Ich begnügte mich damit, noch einmal weit nach oben zu kraxeln und mir einen wunderbaren Ausblick auf Treen Cliff in der Nähe zu gönnen. Dorthin hatte ich eigentlich gewollt, aber es war zu weit. Denn vom Meer zog langsam der Abendnebel heran. Gefährlich auch für Schiffe ... Manchmal sah ich in der Ferne welche. Als ich da auf der Steilküste teils saß, teils am Abhang stand, kehrten wieder jene überwältigenden Gedanken über die Vergänglichkeit des Moments zurück. Dann kam mir noch etwas in den Sinn, ein von mir schon häufig gedachter Gedanke. Aber noch nie so durchdringend. Ich sah mir Treen Cliff an und fragte mich und die Große Mutter, wie der Mensch auf die Idee kommen kann, dass ihm irgendetwas davon gehört, sein Eigentum ist. Das erste Mal stieß ich mich daran schon vor Jahren, als ich noch zur Schule ging und bei meinen Eltern wohnte. Eines Tages begriff ich plötzlich nicht mehr, wieso Menschen Land besitzen. Wie kann ein Einzelner Land, das allen wichtig ist, besitzen? Warum zieht er einen Zaun darum? Als Schutz vor anderen, das verstand ich ja noch. Aber weil es einem gehörte? Warum? Seit jenem Tag konnte ich nie mehr verstehen, wieso das so ist. Am allerwenigsten konnte ich das jetzt dort am Meer, als ich das beeindruckende, übermächtige Felsmassiv bestaunte. Wie kann jemand so etwas sein Eigen nennen? Ich konnte es nicht fassen. Es gehörte doch alles allen, sich selbst und doch niemandem, aber niemals einer einzelnen Person. Nein, das verstand ich nicht! Denn ich dachte, wenn wir und alles andere viele Teile eines Ganzen sind und auch Spiegel eines Ganzen, dann kann das mit dem Besitztum nicht funktionieren. Nirgendwo wird einem das bewusster als inmitten der noch mächtigen Natur. Gut, kleine Gegenstände, die mögen mir vielleicht gehören. Aber Land? Wie das?
4. Walter Kiesenhofer
abendstille
in deinen sanften tälern auf deinen kühnsten bergen mit deinen blühenden gärten umfingst du mich
ließest mich im meer deiner seele nach seltenen korallen tauchen - und ich bestand wohl auch den kampf mit deinem zitteraal ein paar mal
nun da dieser tag dieser wunderschöne tag sich vor uns neigen will in der leuchtenden farbenpracht deines atems
lass uns zusammen das goldene licht dieser wundersam großen sonne trinken!
5. Anneliese Wipperling
Befreiung
Ein Mann kratzt mutlos an der durchscheinend grauen Hülle der Welt. Liegt da hinter der Trübung verborgen seine untreue Frau im falschen Bett? Und wem, bitte sehr, hat der schmierige Dichter die Knittelverse stibitzt? Überall Bosheit, Asche und wildes Geschrei!
Im weichen Licht des Abends umarmt der Buchhalter klappernder Reime die schwarze katzenäugige Göttin der Nacht! Das darf nicht sein!
Weiße Hände zerren von innen an zäher Folie. Zerfetzen sie. Der eingeschweißte Mann streift müde die enge Hülle ab. Fällt in ein Meer aus warmen Farben und melodischen Liedern.
Heilige kupferne Glocken schwingen im Wind.
Die dunkle Frau ist nur noch ein bleiches verängstigtes Püppchen.
Und der Wortklauber singt feurig und falsch zur Gitarre: Oh du herrliche Fürstin der Nacht im Wolkenschleier des Mondes! |
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