"Das Glück, hier geboren zu sein"
 

Buchrückentext:

Die Freundschaft zwischen Tomislav Mutic und Andreas Schieber nimmt bereits im Kindergarten ihren Anfang. Die unterschiedlichen Charaktere bleiben verbunden, immer wieder versucht Tom seinem Freund beizustehen, der offensichtlich einen schweren Stand im Leben hat. Als die beiden daran gehen, Andi ́s Lebensgeschichte aufzuschreiben, offenbart sich dem Lesenden ein tragisches Schicksal. Bereits als Knabe wird Andi von seinem Vater sexuell missbraucht, Erfahrungen, die sein Leben entscheidend beeinflussen. Eine emotional, bewegende Erzählung, mit der versucht wurde, den Leser zum Nachdenken und Innehalten anzuregen. 

Kurztext:

Kindermissbrauch ist leider immer noch in unserer Gesellschaft ein Tabu – Thema. Wegschauen ist eine Möglichkeit, sich damit befassen, eine Andere. Lesen animiert nach wie vor zum Nachdenken und Innehalten; schauen sie sich das an!

 


 

Leseprobe:

... Wussten Sie, dass ein Kind in China, welches den ersten Geburtstag feiert, bereits 21
Monate alt ist. Warum? Obwohl die Menschenrechte schwer bedenklich sind, rechnen sie
dem Menschen die ersten neun Monate, welches sie als Fötus im Bauch der Mutter
verbringen, voll an ihr Lebensalter an. Bemerkenswert, oder?
Wenn ich die Zeitrechnung drauf hätte, wüsste ich, dass ich bereits seit sieben Wochen an
diesem Ort verharre. Das Wasser umspült mich zärtlich und der Herzschlag, welchen ich
wahrnehme, bringt mir Ruhe oder Unausgeglichenheit. Eben je nach dem, wie sie sich
fühlt, welche Lebensumstände sie derzeit durchmachen muss.
Die Zeit vergeht wie im Fluge, jetzt habe ich bald 25 Wochen hinter mir und mit der Ruhe
dürfte es endgültig vorbei sein. Meine Wahrnehmung ist bereits so weit ausgereift, dass
ich tatsächlich feststellen kann, ob da draussen friedliche Stimmung herrscht oder mal
wieder der Ton und das Klima rauer wird. Bei wutvollem Zuschmeissen der Auto- oder
Wohnungstüre, beim Anstellen des Mixers oder Staubsaugers oder einfach wenn die
Tonlaute unangenehmer lauter werden, das Zusammenzucken meiner Glieder müsste
sogar sie spüren. Manchmal denke ich, ja das tut sie, denn sie verwöhnt mich des
Öfteren. Wunderbare Geschichten, herzliche Lieder oder einfach beruhigende Worte
lassen meinen Körper entspannen und ich schwimme unbeschwert und gelöst im
Einklang der Herzschläge.
Was ist jetzt los, ich denke, jetzt kommen Veränderungen auf mich zu. Da waren ja die
letzten Tage richtiggehend ruhig und einsam, gut alleine, das war ich eigentlich seit
meinem Gedenken. In den letzten Tagen kam es zwar immer wieder vor, dass ich mich
leicht bewegte. Wohin? Na, keine Ahnung, irgendwie hatte es den Anschein, dass es
abwärts ging. Jedoch waren diese Bewegungen meist von kurzer Dauer, und eigentlich
unregelmäßig, aber was da jetzt kommt, lässt mich schlimmes ahnen. Die Unruhe
überträgt richtiggehend Hektik auf mich, ich bewege mich unrythmisch und diese um mich
gebende Haut scheint kurz vor dem Zerplatzen. Was kann nur der Auslöser dafür sein?
Gut, könnte ich jetzt lesen oder würde ich gar die Kunst des Internet beherrschen, könnte
ich Herrn Wikipedia befragen. Und der würde mir verraten, dass der Auslöser, quasi diese
auf mich zukommenden Veränderung, erst auf kurzzeitigen Forschungen beruht. Jene
neuen wissenschaftliche Untersuchungen behaupten, dass das Protein SP – A, welches
für die Lungenreifung verantwortlich ist, der Auslöser sein soll. Dieses Protein ist natürlich
ein Eiweiß, welches vom Kind selbst produziert wird, und somit wesentlich für den Beginn
verantwortlich ist. Die Dauer dieser enormen Veränderung, die momentan auf mich
zukommt, ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich, beträgt aber im Durchschnitt
13 Stunden.
Im Nachhinein erfuhr ich, dass ich mich damals tatsächlich nach „unten“ bewegte, es
waren die ersten, sogenannten Senk- oder Vorwehen. Die Natur schlug damit zwei
Fliegen mit einer Klappe. Zum einen trainiert sie ihr Muskelgewebe für die kommende
Aufgabe der Geburt, zum anderen schiebt sie das Baby weiter nach unten. Das Köpfchen
wandert in Richtung Beckeneingang und befindet sich in Startposition, indem sie den
Gebärmutterhals lockert und sich im unteren Abschnitt dehnt. Die wirklichen
Veränderungen kamen dann im sogenannten ersten Stadium der Eröffnungsphase.
Erkannt wird sie durch meist unregelmäßige Wehen mit einer Frequenz von zwei bis drei
Wehen im 30 Minutentakt. Danach ging es Schlag auf Schlag, ich befand mich im Ablauf
einer natürlichen Geburt, und zwar in Meiner!
Anwesende Personen waren der diensthabende Arzt, ein schrulliger, alter, gelangweilt
wirkender Mann, der aber meistens gar nicht im Raum war. Keine Ahnung, was der
während meiner Geburt so nebenbei machte. Weiters die Geburtshelferin, im Fachjargon
Hebamme genannt. Ihre dicken, wulstigen Finger waren das erste wirkliche menschliche,
welches ich an meinem eigenen Leib verspürte. Ihr restlicher Körper glich sich den
Fingern an, sie war eine korpulente Erscheinung. Auch ihre Stimme wird mir in
Erinnerung bleiben, waren sie doch die ersten tatsächlichen Laute, die ich vernahm.
„Jetzt, pressen, pressen!“
„Ruhig atmen, sehr gut machen sie das!“
So ging das einige Zeit lang. Ja, natürlich war da noch ich und meine Mutter im Kreißsaal
mit von der Partie. Die Arme, die hatte den schwierigsten Part der Anwesenden zu
erledigen. Angeblich soll die Geburt für Schwangere und gegebenenfalls weitere
Beteiligte, hier ist jetzt der Vater gemeint, ein sehr emotionales Erlebnis wiedergeben.
Zweitgenannter war zu dieser Zeit jedenfalls nicht anwesend, angeblich geschäftlich
unterwegs. Mutmaßlich war ich aber auch kein Wunschkind und wahrscheinlich schadet
es der Vater – Sohn Beziehung sehr, wenn der männliche Teil der Eltern bei der Geburt
nicht anwesend ist, schauen wir mal, ob das stimmen kann! Weiters heisst es, dass die
Geburt teilweise mit großen Schmerzen, aber auch mit enormen Freuden verbunden sein
soll.
Ich selbst hatte ja im Großen und Ganzen in den nächsten Stunden nicht viel zu tun. Im
letzten Drittel der Eröffnungsphase, sie wird auch Übergangsphase genannt, stieg die
Wehenfrequenz stark an und ich, bis dato noch als Fötus bezeichnet, wanderte weiter
nach unten. Glücklicherweise lag ich richtig, also mit dem Kopf nach unten, und hatte
soeben das Becken meiner Mutter erreicht. Jetzt kam einer meiner wenigen Arbeitsgänge,
ich musste mich um 90 Grad drehen. Man muss sich das so vorstellen, dass ich zuerst auf
die linke oder rechte Hüfte meiner Mutter sah, übrigens bei mir war es die Linke. Um
richtig zu liegen, also des weiteren Ablaufes keine Schwierigkeiten zu bereiten, erfolgt
eben die besagte Wendung und ich sah das Steissbein meiner Mutter. Kurzum, ich habe
meine Sache bis dato gut gemacht und dem dritten Stadium der Geburt, der
Austreibungsphase, stand nichts mehr im Wege!
In dieser Phase ist der Muttermund annähernd oder gar vollständig geöffnet, die Frequenz
der Wehen erhöht sich erneut und mein Kopf drückt auf den Darm meiner Mutter. Dies hat
den enormen Vorteil, dass jetzt der Pressdrang der Mutter ausgelöst wird und die Geburt
dadurch rascher erfolgt. Noch nicht ich, aber mein Kopf ist geboren und der nächste
Arbeitsakt kommt nach einer kurzen Wehenpause auf mich zu. Da ja bekanntlich die
Schultern im Verhältnis zum restlichen Körper recht breit sind, ist wieder mal eine Drehung
von 90 Grad erforderlich. Wie erwartet, erfülle ich die Aufgabe bravourös und auch meine
Schultern sind geboren, der Rest meines Körpers erfolgt unmittelbar.
Eigentlich hätte ich unendlich viel Glück in meinem vor mir stehenden Leben erwartet,
denn es ist selten, dass man das Licht der Welt in einer sogenannten „Glückshaube“
erblickt. Nur in den seltensten Fällen bleibt die umgebende Eihaut, also die Fruchtblase,
bei der Geburt intakt. Ich war nun mit vollem Körperumfang aus dem Laib meiner Mutter
geboren, jedoch war die Geburt noch nicht abgeschlossen. Das letzte Stadium, die
Plazentaphase, ist noch ausständig. Nach etwa 15 Minuten war dies erledigt und der
Mutterkuchen war zur Vollständigkeit, welches zur Verhinderung für Infektionen und
Gewebewucherungen sehr wichtig ist, ausgestossen.
Die menschliche, die seelische Bindung zur Mutter ist ja meist ungebunden und hält ewig,
die letzte Materielle wurde nun unterbunden, die Nabelschnur hörte auf zu pulsieren und
wurde getrennt.
Meine Apgar – Score wurde mit neun Punkten bewertet. Der Grund, warum ich die
höchste Punkteanzahl von zehn nicht erreichte, war die bläuliche Hautfarbe.
Virginia Apgar hat diesen Test, der nach der Geburt, entweder nach einer, fünf oder zehn
Minuten durchgeführt wird, eingeführt. Die Geburt ist der gefährlichste Zeitabschnitt des
Lebens. Es ist dringend notwendig, den Gesundheitszustand von Neugeborenen rasch zu
beurteilen und auftretende Krankheitssymptome sofort zu diagnostizieren, um geeignete
Maßnahmen ergreifen zu können. Deswegen wird dieser Test, wo die fünf wichtigsten
Komponenten, nämlich Herzfrequenz, Muskeltonus, Reflexauslösbarkeit,
Atemanstrengung und eben Hautfarbe, weltweit durchgeführt. Sind alle Komponenten
nicht auffällig, werden zwei Punkte vergeben. Wird der Test bereits nach einer Minute
nach der Geburt durchgeführt, ist die Komponente Hautfarbe meist nur mit einem Punkt
bewertet. Alle Babys, deren Ergebnis unter acht liegt, werden als gefährdet eingestuft und
dürfen dann meist nicht sofort bei der Mutter bleiben.
Bei mir lief zumindest die Geburt reibungslos ab, schauen wir mal, wie´s weitergeht?
Zumindest meiner ersten Mahlzeit lag nichts mehr im Wege und das Gefühl, auf dem
Bauch meiner Mutter zu liegen und an ihrer Brust zu trinken war unbeschreiblich.
Aber das weiß ja jeder selbst, haben ja auch allesamt am eigenen Leibe so erlebt wie ich,
oder?
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Die Gegend war furchteinflößend, vermutlich trug das Wetter ihriges dazu bei, nebelig,
nass und die Luftfeuchtigkeit war den hundert Prozent sehr nahe. Eigentlich hätte ich mir
ja diese Anti Statik Bürsten auch im Fachhandel besorgen können, aber die Angst es mir
nachzuweisen, war dann doch zu groß. Das World Wide Web findet ja bekanntlich alles
und so fand ich jemanden, der eben diese Bürsten vertreibt. Meine Recherchen haben
ergeben, dass ich zumindest acht Stück benötige, um die erforderliche Menge zu
bekommen. So wie der Typ puncto Sicherheitsvorkehrungen vorging, könnte ich mir
vorstellen, das er Panzerfäuste oder Granatwerfer auch vertreibt. Seine einzige Antwort,
die er mir per Mail zukommen ließ, war jene, dass ich mir ein Free Paid Handy besorgen
soll und die dazugehörige Nummer an der Postschließfachnummer 33, Adresse war
natürlich auch dabei, hinterlegen soll. Das Postfach ist für drei Tage dafür in Verwendung,
sollte ich bis dahin nichts von mir, beziehungsweise meinem Handy etwas hören oder
sehen lassen, ist der Käse gegessen. Mir kam die Sache ein wenig überzogen vor,
immerhin handelte es sich nur um Anti Statik Bürsten. Entweder, er wusste, welche
teuflische Substanz diese Bürsten enthalten oder er hat ein Schema, und von dem weicht
er einfach nicht ab, egal um welche Produkte es sich handelt. Ich tat also alles so, wie er
es verlangte, auch die Anweisungen, die er mir per Telefon gab, befolgte ich peinlichst
genau. Die Tatsache, dass der Typ, leider muss ich ihn stets so bezeichnen, denn Namen
gab es überhaupt keine, auch Alias gab es keine, wienerisch sprach, verdutzte mich
allemal. Ja, und so stehe ich hier, wie es mir erläutert wurde: „Kommen sie am Samstag
um 22 Uhr auf den Mexikoplatz in den zweiten Bezirk. Nummer weiß ich keine, aber auf
einer kleinen Grünfläche, viele davon werden sie nicht finden, befindet sich ein
Marmorblock, also eine Gedenkstafel oder weiß der Teufel wofür die dort steht.“
„Wie erkenne ich sie?“, traute ich mich kurz zu fragen, bereute es aber gleich wieder.
Seine Stimme war stets so bevormundend, dass er mir irgendwie Gänsehaut bereitete.
„Nicht sie mich, sondern ich erkenne sie, tragen sie eine Tageszeitung zusammengerollt
unter dem linken Arm!“. Mein kurzer Gedanke, dem Ganzen ein Erheiterung beizusteuern,
ging ebenfalls voll in die Hose.
„Krone oder Kurier?“
„Was!“
„Vergessen Sie´s! Hätte ein Scherz sein sollen“. Klick, aufgelegt, ja so war er, kurz und
bündig. Also so ein kleines angeregtes Gespräch zwischendurch wäre mit ihm undenkbar
gewesen, aber gut, für das suchte ich ihm ja nicht im Internet. Pünktlich auf die Sekunde,
natürlich mit Zeitung unter dem Arm, einer Kronenzeitung nur so nebenbei, stand ich vor
dem Gedenkstein. Der Stein übrigens wurde 1985 aufgestellt, und ließ erahnen, warum
der jetzige Platz auch so hieß. Die Inschrift lautete: „Mexiko war im März 1938 das einzige
Land, das vor dem Völkerbund offiziellen Protest gegen den gewaltsamen Anschluss
Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich einlegte. Zum Gedenken an
diesen Akt hat die Stadt Wien diesem Platz den Namen Mexiko-Platz verliehen“.
Gut, würde er nicht kommen, so wußte ich jetzt wenigstens, woher der Mexioplatz seinen
Namen hat. Andererseits, wieso sollte er nicht kommen, ich habe ja keinen Cent im
Vorhinein bezahlt, also was hätte er davon. Meine Gedanken spielten all mögliche
Szenerien durch, auch jene, dass plötzlich Kriminalpolizei vor mir stand und mich fragte,
was ich eigentlich mit den Bürsten vorhätte. Die Angst davor ließ mich schleunigst eine
Ausrede dafür suchen, blieb aber erfolglos, denn kurz darauf sprach mich eine mir
bekannte Männerstimme an. Ich sah ihn nicht kommen, was mich so was von ärgerte,
meine Leichtsinn war so was von dämlich.
„Wie ausgemacht, 15 Euro pro Bürste, also 120 Euro!“. Er hielt beide Hände ausgestreckt
in meine Richtung, wobei er in der linken einen Leinensack hielt, wo vermutlich die
Bürsten verpackt waren, die Rechte hielt er geldfordernd mit offener flacher Hand. Sein
Kopf war stets leicht senkend, so dass ich nie sein Gesicht sehen konnte, abgesehen
davon war es bei dem Denkmal so dunkel, das es mir doppelt schwer viel, mir einen
Eindruck zu verschaffen. Seine Kleidung war schlampig, die Hose reichte weit über die
Schuhe, so dass man sie nicht sehen konnte. Der graue lange Lodenmantel war
schmuddelig und verfilzt, ich hatte auch den Eindruck, dass ein übler Geruch von ihm
ausging. Eine Art Baseballkappe hatte er tief in die Stirn gezogen, sie war verwaschen und
alt. Weder seine Haarfarbe, sein Alter und schon gar nicht seine Augenfarbe konnte ich
ausmachen, die Größe würde ich auf 1 Meter 70 schätzen. Die Warenübergabe verlief wie
bei einem Thriller im Fernsehen oder Kino, wortlos und zügig. Kaum hatte er die Scheine
abgezählt, drehte er sich kommentarlos um und verschwand in der Dunkelheit, vermutlich
ist er so ähnlich auch erschienen, ein komischer Kauz der Typ.
Mein einziges Problem war nun, die tödliche Substanz von den Bürsten zu entfernen,
danach war es angeblich ein Kinderspiel. Da beide meiner Freunde, welche Chemiker
gelernt hatten, sofort absagten, musste erneut das Internet her. Es brauchte nicht lange
und auch hier wurde ich fündig. Die Kosten waren um einiges höher als der
Selbstkostenpreis der Bürsten, jedoch hätte ich es alleine nicht über die Bühne gebracht.
Ich übergab ihnen die Bürsten, sie verwiesen mich auf eine Wartebank und verschwanden
in einem Nebenraum. Nach etwa, ich glaubte schon, sie kamen gar nicht mehr, also etwa
zwei Stunden kamen sie wortlos und das Geschäft ging über die Bühne. Da es auch hier
sehr inkognito zuging und Keiner von Niemanden Namen oder ähnliches wollte, zahlte ich
zufrieden und begab mich mit einem kleinen Bleibehälter Richtung Heimat.
Inhalt des Bleibehälters ein paar Gramm Polonium-210. Polonium wurde 1898 von Marie
Curie entdeckt und zu Ehren ihrer Heimat Polen nannte sie es Polonium (vom lateinischen
Wort „Polonia“). Es ist also ein Nuklid und somit radioaktiv, also eigentlich kein Gift, wenn
es auch den selben oder gar bessern Effekt aufweist. Da es allerdings nur Alphastrahlen
aussendet, muss es oral genommen werden, denn alleine einige Millimeter Luft und somit
auch Haut würden ausreichen, um dieses zu absorbieren. Der Staub, welcher mit einem
Metallstaub vergleichbar ist, ist in warmen oder gar heissen Getränken, wie zum Beispiel
Tee nicht schmeckbar.
Die berechtigte Frage, warum jetzt solch ein gefährliches Material in herkömmlichen
ionisierten Anti Statik Bürste vorkommt, ist einfach: Die Alpha-Strahlung des Poloniums
ionisiert die Luft in der Umgebung der Quelle - etwa einer Bürste zur Reinigung von Filme,
Fotolinsen oder Okulare - und hebt die statische Aufladung der betroffenen Flächen auf,
so dass Staub sich leicht entfernen lässt. Ein kleiner Nachteil ist die Halbwertszeit, welche
nur fünf Tage beträgt, es sollte also in dieser Zeitspanne verwendet werden, da ja
ansonsten die Hälfte der Strahlung bereits verloren gegangen ist.
Da ja die Jahreszeit das ihrige dazu betrug, bezüglich „Teetime“ meine ich jetzt, musste
ich nur mehr die Gelegenheit abwarten, denn auch wenn es ein alltägliches Ritual war,
dabei war ich selten. Es waren eher die wenigen Minuten, welche meine Eltern für sich
haben wollten, meine Anwesenheit wäre das plötzlich auffällig. In den ersten beiden Tagen
ergab es sich überhaupt nicht und meine Nervosität stieg allmählich, vermutlich auch da
her kommend, da das Wochenende nahte und somit der Ablauf überhaupt anders war. Mir
blieb nur mehr der Freitag und ich wußte, wenn nicht heute, dann nie, denn das ganze
würde ich mir nicht noch einmal antun, geschweige denn leisten können.
Einfacher und sicherer wäre es, wenn ich die tödliche Substanz bereits vorher in den
Teekessel geben würde, jedoch wäre da meine Mutter ebenfalls gefährdet und meine
Absicht, den „perfekten Mord“ zu verüben, da ich sie ja hätte warnen müssen, wäre
gescheitert. Das Ideale wäre, wenn es gar nicht nach einem Mord aussehen würde. Somit
könnte man meinen, dass es den perfekten Mord gar nicht gibt, denn wäre er tatsächlich
perfekt, sollte es gar nicht danach aussehen. Gut lassen wir die Wortspiele und
konzentrieren wir uns einfach darauf, dass es den erwischen soll, der es verdiente und
das es nach einem plötzlichen Versagen eines menschlichen Organes aussieht. Würde es
jetzt forensische und obduzierende Untersuchungen geben, wäre es vermutlich
nachweisbar, aber da bin ich überfragt.
Vater kam freitags wie immer und pünktlich um 15 Uhr bei der Türe herein, stellte Schuhe
ordentlichst, parallel an ihren Platz, hängte seine Jacke peinlichst genau auf den
Kleiderhaken und schlüpfte in seine blamablen Pantoffel. Mutter, leider zu unterwürfig,
warum auch immer, wartete schon im Wohnzimmer und legte ihm das Kissen für den
Fauteuil zu recht. Da die Szenarien einem Ritual glichen, also stets das selbe Bild, wie bei
„Täglich grüßt das Murmeltier“, waren sie leicht auszurechnen. Ich musste nur auf den
Zeitpunkt warten, wo das Teewasser kochte und Mutter das brühende Wasser in die
bereits hergerichteten Teetassen schüttete. Da mein Vater sich stets bedienen ließ, war
die Möglichkeit, dass er ebenfalls in die Küche kam, relativ gering. Und genau in den fünf
Minuten, wo der Tee zu ziehen hatte, musste ich meine Chance nützen. Das richtige
Teeglas zu erwischen war einfach, da sie immer einen Früchtetee und er einen Grünen
trank. Im Normalfall nützt sie die fünf Minuten, während er sich vom Fernseher berieseln
lässt, notwendige Tätigkeiten in der Küche oder auch in unmittelbarer Nähe
durchzuführen. Das Klingeln der Teeuhr lässt sie jegliche Tätigkeit in den Schatten stellen
um in die Küche zu laufen, denn die Zeit des Ziehens war wichtig, zumindest aus der Sicht
meines Vaters. Wie wenn Wölfe in die Nacht heulen, vermutlich wenn sie Beute riechen
oder sich in der Brunftzeit befinden, hörte sich der Teekessel an, wenn das Wasser darin
die kochende Phase erreichte. Mein Zeitpunkt war gekommen, ich begab mich auf jene
Toilette, welche etagengleich mit der Küche und dem Wohnzimmer lag und wartete kurz.
Da das WC räumlich der Küche angebaut war, konnte ich durch leises Zurufen etwas
erreichen, welches mir eine Vorteil erschuf. Nämlich jenes, dass mich Mutter in der Küche
hörte, aber Vater eben nicht. Einerseits durch den laufenden Fernseher, anderseits durch
die räumliche Anordnung, dass eben die Küche zwischen der Toilette und dem
Wohnzimmer lag. Ich öffnete eine Spalt die Türe und wartete auf das vertraute Geräusch,
wo das Wasser in die Teetassen geleert wird. Auch das Abstellen der Teekanne auf den
Herd konnte ich ausmachen. So, jetzt war mein Part an der Reihe.
„Mama!“, rief ich so leise, dass mich Vater keinesfalls hören konnte, aber so laut, dass sie
mich noch verstehen konnte.
„Ja?“, war ihre kurze, etwas erstaunte Antwort. Vermutlich war sie überrascht, warum ich
nicht in meinem Zimmer im ersten Stock war.
„Wir haben hier kein Klopapier mehr und ich bräuchte eines, könntest ...“
„Ja wieso hast du denn nicht im Vorhinein geschaut?“, eine kurze Atempause folgte, ich
schluckte nervös.
„Aber ja, ich hole es dir!“. Ihre schnellen Schritte, wie sie die Treppe in den Keller
hinunterlief erleichterten mich. Kurz wartete ich noch, dann schlich ich mit dem kleinen
Bleibehälter in die Küche, öffnete ihn akribisch und versuchte beim Hineinschütten der
Substanz jegliches daneben leeren zu vermeiden. Die Luft hielt ich ebenfalls an, da ich vor
dem Einatmen dieser tödlichen Substanz schweren Respekt zollte. Ich durchrührte die
heisse Flüssigkeit mit einem Löffel, ließ ihn in meiner Hose verschwinden und begab mich
wieder auf die Toilette. Mutter kam keuchend nach oben, mittlerweile läutete auch die
Teeuhr.
„Da hast du Taschentücher, ich kann keines mehr finden, ich hätte schwören können, das
wir noch eins hätten!“. Da die Teeuhr sie in Zeitdruck brachte, verbrachte sie keine fünf
Sekunden bei mir auf der Toilette. Das sie kein Papier finden konnte, war mir natürlich klar,
meine Vorbereitungen ließen dem Zufall keine Chance. Ich wartete noch einige Zeit, wie
lange ist schwer zu sagen, mein Herz pochte extrem stark. Ich musste mich beruhigen,
aber die Tatsache, dass es jetzt kein zurück mehr gab, erleichterte die Sache nicht im
geringsten. Ich versuchte, ob ich hören konnte, dass sie bereits beim Trinken ihres Tees
sind, konnte aber keinen laut ausmachen. Ich beschloss ins Wohnzimmer zu gehen,
hoffte, meine Unsicherheit nicht sichtbar werden zu lassen.
„Trinkt der Engländer den Tee mit Milch oder Zucker?“, fragte ich lautstark beim Betreten
des Raumes. Meine selbstsichere Stimme und mein Auftreten überraschte mich selbst.
Vater und Mutter schauten verdutzt und nahmen genüsslich einen Schluck. Da keiner der
Beiden antwortete, gab ich sie mir selbst.
„Es kommt auf den Tee an, wäre die richtige Antwort gewesen!“, und zwang mich zu einem
Lächeln, wobei ich meinen Vater keine Sekunde aus den Augen ließ. In den nächsten
Sekunden ging alles sehr schnell. Er dürfte Krämpfe bekommen, laute brachte er keine
heraus, Mutter bekam noch nichts mit, da ja der Fernseher auch lief und sie dem
laufenden Bericht folgte. Er saß da und sein gesamter Körper zuckte, die größte
Schwierigkeit hatte er, die Teetasse nicht fallen zu lassen. Nach wenigen Sekunden war es
vorbei, er kippte nach vorne, die Tasse fiel klirrend auf den Boden und seine Stirn knallte
auf den Couchtisch. Mutter erschrak extrem und schrie auf. Wie lange sein Kampf dauerte
konnte ich nicht sagen, aber es dürften Höllenqualen gewesen sein. Er verkrampfte am
Boden, zuckte ohne Unterbrechungen und eine eigenartige flüssige Substanz kam
schäumend aus seinem Munde. Ich stand wie versteinert, Mutter bekam sich nicht in den
Griff und schrie unaufhörlich. In diesem Moment tat er mir das erste Mal in meinem Leben
leid.
Plötzlich hämmerte es sehr laut an der Türe, es übertraf sogar den Lärmpegel vom
Schreien meiner Mutter, die es aber nicht mitbekam. Das Hämmern hörte nicht auf und ich
dachte nur, wann hört das Ganze endlich auf. Kann doch nicht sein, dass die Polizei da
etwas mitbekommen hat. Hat der Chemiker oder gar der Bürstenverkäufer, also dieser
komische Kauz, mich beschattet und mich angezeigt. Meine Gedanken ließen schwere
Kopfschmerzen zu und ich versuchte mit meinen Händen die Ohren so fest zu drücken,
dass dieses Hämmern endlich aufhörte, aber im Gegenteil, es wurde stets lauter.
In diesem Augenblick fuhr Andreas Schieber in die Höhe, sein Schlafgewand war
durchnässt und seine Haare klebten verschwitzt an seiner Stirn, seine Atem war schwer.
An der Türe klopfte es immer zu und jetzt war auch eine Stimme hörbar.
„Herr Schieber, Herr Schieber, sind sie zuhause!“, dann wieder das Hämmern an der Türe.
„Herr Schieber, der Rauchfangkehrer ist da, wir haben einen Termin, Hauptkehrung, öffnen
sie bitte!“. Er zwang sich aus dem Bett und schleifte sich förmlich zur Türe, seine einzigen
Gedanken waren nur: Erstens, wie bringe ich den Typen bei, dass es jetzt nicht geht und
zweitens, was sind das für verdammte Träume, die ich in letzter Zeit stetig habe, so etwas
Krankhaftes...

 

Kontakt zum Autor: Harald Jelinek: h.jelinek@gmx.at
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