Sie war so eine Rothaarige

Sie war so eine Rothaarige, hatte nur noch einen Schuh an und war auch sonst nicht richtig im Kopf. Entweder hatte ich sie gestern kennen gelernt und wir waren zusammen hier im Irrenhaus gelandet oder ich hatte ich hatte sie heute zum ersten Mal hier gesehen, weil es doch oft unausweichlich war,  das sich der Abschaum der Menschheit  immer findet:  wie eine Kakerlake die auch an einem Mäusefurz satt wird – wenn sie sich nur dran gewöhnt.  Jedenfalls war ich wieder einigermaßen nüchtern, warf mir irgendwelche tapes ein, die Schwestern verteilten, welche so aussahen als könnten sie selber welche vertragen,  obwohl die Tabletten mit Sicherheit nicht für mich waren. Das Zeug lag hier überall rum, viele der Patienten waren so kirre, das sie ihre Medikamente einfach irgendwo hinlegten, sie dann später vergaßen weil sie wichtigeren Dingen nachgingen: Pulsadern aufschneiden, stundenlang wichsen, Freundschaftsbändchen flechten, Briefe schreiben die unbeantwortet blieben. Was man halt so macht, wenn man merkt das andere von einer Siegerstraße träumen, während man selbst auf einem Feldweg mit dem Schädel   voraus in einem Kuhfladen liegt. Da waren Typen und girls drin, denen legte man die Tabletten auf den Nachttisch neben ihr Bett. Aber die armen Schweine waren mit Ledergürteln ans Bett fixiert und kamen gar nicht an die Psychopharmaka-Scheiße ran.

„Mit viel Wasser nachtrinken“, sagten die Pflegekräfte und verzogen sich wieder.

Die abgefuckten Kreaturen auf ihren Pritschen glotzten die Pillen an, die abwackelnden Ärsche des Pflegepersonals und zogen sich wieder in ihren traumlosen Schlaf zurück, ein Schlaf der sie vergessen ließ, das sie immer dann zu spät dran waren wenn Glücksportionen verteilt wurden,  aber bei der Scheiße –und Eiterrationsausgabe immer in der ersten Reihe standen. War ein gemischter Haufen hier, Männer und Frauen, besser als jeder Knast. Sicher, die Ladys hier hatten alle einen Schuß weg, aber das unterschied sie nicht wesentlich von den Frauen mit denen ich bisher zusammen gelebt hatte.

Und andauernd kam dieser Pfleger: „...würden Sie mir jetzt endlich die Daten von den Damen geben, die mit Ihnen eingeliefert wurden. Die weigern sich kategorisch uns Auskunft zu geben...“. Ich gab ihm die Angaben von zwei verflossenen, abgehalfterten Schicken von mir. Kopfschüttelnd aber zufrieden trabte er ab. Über die beiden Fotzen, deren Personalien ich angab, könnte ich auch viel erzählen, aber das ist eine andere Story und das hebe ich mir auf. Ich verschenke nichts mehr. Wer Lust drauf hat: einfach abwarten.

Ja, ihr habt richtig gelesen, wir wurden hier zu dritt eingeliefert und in die Zellen geschaufelt. Allesamt wegen Alkoholvergiftung, das bewahrte uns wenigstens vor der Ausnüchterungszelle und ersparte uns den Anblick von übelgelaunten Bullenfressen nach so einer Nacht. Und das lässt einen doch noch etwas hoffen.

 

                                                      *

 

Da war eine, die war mal so richtig gut drauf. Tanzte im Speisesaal nackt auf dem Tisch und masturbierte dabei. Einige johlten und grölten, aber die meisten nahmen keinerlei Notiz davon und der einzige Sabber der ihnen aus den Mundwinkeln lief stammte von der Wassersuppe die sie mit toten Augen und gefühlslosen Zungen in ihren Mund löffelten. Zwei Pfleger packten unser Stripgirl, zogen sie da runter und verfrachteten sie in eine Absonderungszelle. Ich buhte und pfiff, andere verzogen sich diskret auf ihre Zimmer und fächerten sich einen runter. Einer der Pfleger verpasste der Lady eine Spritze bevor er sie fixiert hatte und blieb dann verdächtig lange in der Spezialzelle. Wenn daraus ein Kind entsteht, dachte ich, dann ist die Menschheit endgültig am Ende...

 

                                                   *

 

Bevor ich die zwei Hübschen kennen gelernt habe, war ich auf einem Flohmarkt und hatte ein paar Postkarten aus der Inflationszeit ersteigert. Frankiert mit etlichen Millionen Mark. Damals war Geld weniger wert als ein Stück Toilettenpapier mit Scheiße dran wenn zumindest noch die andere Seite benutzbar war. Die Karten waren unbeschriftet. Ich nahm eine und schrieb drauf: „Hallo, mein Engel, wenn der Krieg vorbei ist, hole ich Dich hier raus und heirate Dich. Dein Dich liebender Franz.“ Vorne auf der Karte waren Soldaten abgebildet, mit Vorderladern und Pickelhauben, irgendwelche Haudegen aus dem 1. Weltkrieg. Über einen dieser Veteranen machte ich ein X und schrieb „Franz“ drüber. Das Machwerk steckte ich unter die Zimmertüre unserer Speisesaal-Entertainerin. Sie rannte den ganzen Tag mit dieser Karte herum, wedelte damit hysterisch immer von oben nach unten als ob sie eine Fahne beim Besuch des Papstes schwingen würde und zeigte sie den anderen Verrückten. Ein Arzt kam hinzu:

„Schauen Sie mal Herr Doktor, bald holt er mich, dann darf ich heim. Und so schöne Briefmarken...“

„Ja“, sagte er „schöne Briefmarken. Sehr schöne Briefmarken...“

 

                                                  *

 

Eine meiner Ladys, nicht die Rothaarige, wurde entlassen. Zum Abschied blies sie mir unter dem Tisch einen, während ich drei Schwachköpfen beim „Monopoly“ ihre Schokolade und Zigaretten abknöpfte. Die Schmatzgeräusche irritierten niemanden.

„Ich werde mir einen Kater kaufen und nach dir benennen.“ sagte sie zum Abschied.

„Von mir aus nenn` ihn Mao, Hussein oder Peter Frankenfeld. Aber halt dich an dem Vieh fest, vielleicht hilft es Dir soweit,  das du nicht bald wieder hier landest.“

Zwei Jahre später sprang sie von einer Autobahnbrücke vor einen LKW, den Kater festumklammert. Den Abschiedsbrief den sie mir hinterließ habe ich nie geöffnet sondern ungelesen verbrannt. Die Rothaarige wurde inzwischen entmündigt und hat dadurch ihren Friseursalon verloren, den ihr Ex-Mann als Scheidungsausgleich hinterlassen hatte.

Unsere Stripperin wird immer noch darauf warten, das ihr imaginärer Freund Franz aus sibirischer Kriegsgefangenschaft kommt.

Und ich starre noch oft in einen blutleeren Raum, wenn ich mich in der Freiheit umsehe, einem Raum in dem man so geborgen ist wie eine weiße Maus,  die mit dem Arsch schon in dem Maul einer Schlange ist und sich trotzdem noch in verzweifelter Gegenwehr die Vorderpfoten blutig scharrt...sinnlos...verwegen...hoffnungslos...

Der Glaube an das Leben ist ein Irrtum und der motherfucker Tod ein Leasingangebot das wir alle angenommen haben und nur der Suizid ist der einzige Weg, den vertrackten Klauseln zu entgehen. Aber das will gut überlegt sein, denn wer weiß was uns danach erwartet.

Hoffentlich nicht das, welches uns das Klischee vorgaukelt, den erstens bin ich nicht schwindelfrei. Und zweitens: bin ich ein miserabler Harfenspieler...

  

Ralf B. Göhrke „FINO“ überarbeitete Ausgabe 2006-02-27 für

„Von Bieren und Bräuten“

Kontakt zum Autor: lurchine2@yahoo.de

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