Engel auf Reisen

Christophorus ist der Schutzheilige der Reisenden und führt sie durch alle Gefahren, die das Reisen so mit sich bringt. Wer auf Nummer sicher gehen will und vor vergifteten Brunnen und explodierenden Flugzeugen gefeit sein möchte, hängt sich eine Christophorus-Vignette um den Hals. Erhältlich in allen Autobahnraststätten und Apotheken.
Möglichst aus purem Gold, damit man immer daran erinnert wird, dass der Heilige noch vorhanden ist. Außerdem hindert einen das Gewicht des Goldklumpens daran, die Reise zu Fuß aufzunehmen. Ein hängender Kopf und durch schwere, schlurfende Schritte verursachte Hornhaut an den Füßen wären die Folge dieses unsinnigen Unterfangens.
Aber das wollen wir ja alle nicht. Zum Glück befinden wir uns am Beginn des 21. Jahrhunderts mit all den Annehmlichkeiten, die einem das Reisen bieten kann. Verkehrsmittel sind angesagt und wandern ist selbstverständlich out.
Das Hauptverkehrsmittel Nummer eins in Deutschland ist natürlich, wie sollte es auch anders sein:
Das Fahrrad.
Wenn ich mal schnell nach Hamburg, Dresden, oder München will, benutze ich ein einundzwanziggängiges Rennrad aus dem Supermarkt für dreineunundneunzig. Die Markengangschaltung made in Germany verstellt sich zwar aller dreißig Kilometer um einen Zahnkranz, aber wenn man einmal das System herausgefunden hat, kommt man mittels einfacher Addition mit dem Boliden gut und gerne zwanzig Kilometer weit, ohne ein einziges mal in den Lenker zu beißen.
Hätte ich nicht aus lauter Ignoranz den Schutzheiligen zu Hause vergessen, wäre sicher etwas aus meiner Dresden-Reise geworden.
»Drääsden« soll ja ganz passabel aussehen mittlerweile. Nicht mehr so zerbombt, wie früher. Auf dem Weg dahin kam ich durch die alte Saale-Stadt und merkte, wie allmählich mein Hintern wund und wunder wurde.
Aber Wunder über Wunder, ich strampelte mir einen ab, das Kopfsteinpflaster auf den Radwegen wechselte sich ständig mit Bitumenhuckeln und Betonlöchern ab, aber kein Hinweisschild nach Dresden. Mir taten sämtliche Weichteile weh und nachdem ein bekloppter Manta-Fahrer mich auf seine Kühlerhaube gerammt hatte, gab ich auf!
Bei Jan Ullrich hatte das alles so cool ausgesehen, aber ich war mir mittlerweile ziemlich sicher, dass der niemals auf »Radwegen« fahren musste.
Nachdem ich dem Manta in die Eier getreten hatte, schmiss ich das verdammte Sonderangebot für dreineunundneunzig an die nächstbeste Laterne, nicht ohne es im Nachhinein mit einem Fahrradschloß für neunzehn Pfennige abzusichern. Man konnte ja nie wissen.
Der Zufall wollte es, dass ich genau vor dem Hauptbahnhof stand und nur noch sechsundzwanzig Überführungen passieren musste, um schnurstracks den Zug nach Dresden zu besteigen. Ohne dieses verdammte Rad!
Die Idee war nicht schlecht. Die Deutsche Bahn besaß die schnellsten Verbindungen der Welt und bot den Reisenden hypermoderne Züge an, die so bequem waren, dass man ruhig einmal seine Haltestelle verschlafen konnte. Wenn das einmal passierte, hatte man keinerlei Probleme. Man konnte die Tatsache, urplötzlich in Transsilvanien aufzuwachen, völlig gelöst hinnehmen, da es sicher war, dass der Zug umgespannt wurde und irgendwann auf dem Rückweg den ursprünglichen Zielbahnhof erneut passierte. Wenn man dann allerdings wieder einschlief, konnte das Ganze doch noch in Stress ausarten. Stellen Sie sich einmal einen Eisenbahnschaffner vor, dem sie eine Fahrkarte von Halle nach Dresden vorweisen, während Sie sich gerade in der Nähe von Hamburg befinden, weil Sie es gerade mal wieder verschlafen haben...
Also ging ich an so einen Automaten und kaufte mir ein Wochenendticket. Und dann bestieg ich den Zug.
Dort saß ich ungefähr eine Stunde, als eine Bahnsteigansage verkündete, dass aufgrund eines Unfalls auf der Strecke der Zug mit einer geringfügigen Verspätung abfahren würde.
In meinem Abteil fing es an zu rumoren. Ein älteres Ehepaar begann damit, Frühstücksbrote auszupacken und ein Schock gekochte Eier abzupellen. Die Eier schoben sie in sich rein, als seien es Pralinen. Von Verstopfungen hatten sie wohl noch nie etwas gehört. Die Brote bissen sie nur einmal an und warfen sie dann aus dem Fenster, angeblich weil die Wurst nicht mehr gut war.
Mich packte die kalte Wut. Nicht nur, weil geschälte Eier zum Kotzen stinken, sondern weil jetzt auch noch eine weitere Bahnsteigansage verkündete, dass der Zug heute nicht mehr starten könne, weil ein Extremist angeblich eine Elbbrücke gesprengt hatte.
OK. Dresden ade.
Ich stieg aus und ging gemütlich in einen Geschenke-Laden. Das wäre doch gelacht, wenn ich aus diesem Tag nicht noch etwas Vernünftiges machen könnte. Ich kaufte eine Sechser-Packung Dart-Pfeile und eine Flasche Wein für dreineunundneunzig.

 
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