Schuhman
„Zwei Stockwerke über mir beginnt er sich sein Nest zu bauen wie ein
Marderweibchen. Eilige Schritte höre ich als müsste er verlorene Zeit
wiedergutmachen. Immer nur seine Schritte.
Er muss erst
noch jemand finden der bereit ist seine Zeit und Gedanken mit ihm zu teilen.
So einfach geht dass nicht mein Freund. Niemand überlässt sich irgend
jemand. Gut Ding will Weile haben. Zuerst musst du ein Paar Augen finden
,die dich überhaupt sehen können durch all den Nebel. Nicht zu forsch. Nicht
zu Draufgängerisch. Ettikette, selbst am schlimmsten Ort. Ein Balzen, ein
Zieren, ein leichtes Zerren am anderen Geschlecht. Da wollen die ersten
Sätze gut bedacht sein. Vielleicht bis zum Tod.
Fieber überfiel das Haus in den Tagen seines Einzugs und schien alle anderen
Bewohner ans Bett zu fesseln oder in ihre Behausung zu verbannen.
Der Flur gehörte ihm, und mit prahlerischem Gekeuche schleppte und schleppte
er eine Woche lang allerlei Dinge wie ein Ägyptischer Pyramidensklave die
Treppen hoch. Dann an einem Donnerstag Morgen war es still. Der erste Akt
war vorüber und der Vorhang fiel.
Ab jetzt wieder Mensch und genötigt mit sich selbst zu spielen. Alles war
verstaut und festgezurrt. Verpackt und aufgestellt. Eingehängt und
eingerastet. Verschoben und benannt. Gebohrt und wieder abgelöst. Entsonnen
und Verworfen.
Ich atme auf
als hätte ich etwas Schweres hinter mich gebracht.
Beide Fenster meines Wohnzimmers zeigen Richtung Fluss. Die große weiße
Katze von der fetten Frau Wertheim sitzt mir gegenüber auf dem schmalen
Vorkriegs-Fenstersims und sieht mich vorwurfsvoll an, als würde meine
Gegenwart ihr Katzendasein nur noch verschlimmern.
Wie Revolverhelden fixieren wir uns, und einer von uns muss weichen. Ich
kapitulierte und schloss das alte Fenster, an dem Jahr für Jahr mehr die
Farbe abblätterte, wie in meinem Gesicht.
All der
Riesenhaufen Zeit: unzählige Currywürste gefressen, unzählige Gesichter,
Tausende von Worte, wie grüne und rote Gummibärchen, verteilt an den
verschiedensten Stellen meiner Umgebung.
Meine
Landflucht. Jahrhunderte her. Als Bub. Als Nichtswisser und Nichtskönner.
Als Nichtmensch. Als elender dreckiger Wurm hier angekommen. Die großen
Schiffe.
Das Brüllen ihrer Signalhörner, wenn Sie mutig das sichere Hafenbecken
verließen. Jedesmal eine Geburt der Freiheit. Der Gestank des Hafenbeckens.
Der Gestank. Hundertmal stärker als mein eigener.
„Wenn so die Freiheit riecht, dann kann ich nicht so schlecht sein“, dachte
ich mir damals mit einem Funken Zuversicht. Ich schnitzte mir ein paar
Krücken und versucht zu gehen wie die anderen am Hafenbecken. Aufrecht,
langsam, besonnen, vor Kraft und Geilheit strotzend. Im richtigen Moment
auch mal gebückt, Mitleid heischend, Ein Füßchen bewusst nachziehend, um ins
Gespräch zu kommen mit der Welt, die Ihre Verlierer dann und wann mit einem
Gläschen Liebe auf Kosten des Hauses belohnt.
Jahr um Jahr nachahmend bis ich nicht mehr stank sondern gern gerochen war.
Bis ich nichts mehr roch und ins Wasser ging.
Helfende Hände zogen mich ans Land, fast empört darüber, dass ich ohne
irgendeine Tat, ohne Spuren hinterlassen zu haben, mich aus dem Staube
machen wollte.
Ein Verräter am System, am Menschen. Kein Durchhalter. Keiner, der was
ertragen kann. Ein Mogler und Bescheißer. Keiner, der im Regen stehen kann.
Der das Feuer, das durch die Strassen weht, nicht hilft zu löschen mit
seiner Nässe. Ein Drängler Richtung Exitus. Der die endlos lange Schlange
umgehen will durch einen Wassertrick.
Der
Patient
Ich saß wieder in meinem Stuhl und begann die Bäume draußen zu zählen im
Park vor meinem Fenster. Mein Frottebademantel würde mich warmhalten und mit
schmeichelnder Mutterhand meine kalte Haut beruhigen.
Einsam geht es zu. Draußen wie drinnen. Ich kann sie verstehen. Alles
schnell erledigt und ab nach Hause zu Frau und Kind und warmer Suppe.
Ein, zwei, drei Tannen dann vier alte Birken. Macht sieben. Nein, die Hecke
zählt nicht. Groß müssen sie sein und Äste haben. Ich zähle sieben Bäume vor
der hohen Mauer, die die Klinik umgibt wie ein
Streitwall - gebaut aus Deutschem Stein.
Sie schwärmen aus wie Bienen aus dem Nest. Die Pfleger und Ärzte am
Pförtnertor. Zurück bleibt nur eine Notration Vernünftiger. um uns durch die
Nacht zu bringen, gegen Lohn.
Nein es fühlt sich nicht wie Bewachung an. Verstärkung trifft es besser.
Ich kenne ihre Gedanken wie Stallgeruch. Dass ich aus gutem Grund hier bin.
Dass ich einfach zu auffällig war. Zu offensichtlich.
Verdunklungsverbot nicht eingehalten. Nach der Sperrstunde draußen.
Nicht den Leuchtturm gesehen, der alle sicher in den Hafen lenkt.
Ich öffne mein Fenster und erschrecke über die salzige Luft soweit vom Meer
entfernt.
Wie ein Herumtreiber belästigt sie die Baumpassanten unten in der tot
gepflegten Parkanlage und macht sich lustig über ihre Bewegungsunfähigkeit.
Mein Volk hat mich weggeschickt zu den Weiskitteln.
Durch welches Examen bin ich gerauscht, dass man mich hinter Mauern
verbergen muss vor der Welt? Dass nur noch geschultes Personal mit mir zu
einem Wortwechsel genehmigt ist.
Ansonsten sind wir Verbannten uns selbst überlassen. Immun gegen die Seuche
des anderen.
Ich schaue zu meinem Jesus hoch, der über mein Bett gehängt wurde, ohne ihn
zu fragen. Du und ich hier im Baumland, wo es zu kalt ist für hüpfende
Affen. Du schaust über deine blutenden Füße hinweg auf mein Bett. Du kannst
von dort aus nicht mal aus dem Fenster sehen. Die fleißigen Honigbienen. Den
russischen Gärtner. Schulmedizin verbreitet durch Karpfenmäuler, macht
blubbernd Kringel im Teich.
Ein Exilant bin ich, so nebensächlich wie der Kartoffelpreis.
Ich liege im Bett und du Jesus Christus, letzte Tankstelle vor dem langen
Weg ins Nichts, starrst mir auf die Haare. Besseres hast du verdient als
meine ungekämmte Gedankenschublade anzuschauen.
Seit Jahren versuche ich mich zu sammeln, aber alles ist Wüstensand.
Bedeutungslos und unbrauchbar, nicht formbar und keine Dichtheit ergebend.
Mein Rücken verbrannt und abgeheilt so gut es Mutter Natur gefiel. Meine
Arme ebenfalls. Meine Füße auch. Keine Haare trauen sich mehr zu wachsen.
Als hätte ich in einem Vulkan gelebt. Der Sohn von Drachen. Das Glutkind.
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