Femina Tausendschön


Er hatte alles verdorben, alle Mühen und Geduld umsonst. Er verstand es einfach nicht, hatte kein Empfinden für durchdachte Schönheit.
Ein letzter Blick in den Spiegel, bevor sie ihr elegantes Channel-Kostum auszog und fein säuberlich auf den Bügel hängte. Darunter trug sie lediglich das passende Parfüm, - alles für ihn.
Doch er hatte alles verdorben.
Dabei war sie sich so sicher gewesen, dass niemand mehr über sie lachen, ihre Nähe zurückweisen oder über sie tuscheln würde, und wenn, dann nur vor sinnlicher Gier in ihrer Nähe weilen zu dürfen, ein wenig von ihrem Glanz und ihrer Schönheit zu profitieren.
Ein Blick in den Spiegel bestätigte es – sie war schön, formvollendet gestaltet.
Niemand hätte früher geahnt, dass sie so Klasse aussehen konnte, das kleine Pummelchen und Klassenclown, von den Jungs mitleidig belächelt und ignoriert.
Aber sie hatte Roland, den Baulöwen geheiratet, Geld spielte keine Rolle mehr.
Jetzt war sie eine Schönheit die selbst den Spiegel nervös machte.
Ihre Lippen so sinnlich, so formvollendet und weiblich voluminös modelliert
von Professor Christensen.
Ihre Augen strahlten wie zwei himmelblaue Lichtfeuer auch an kalten Tagen, in dieser wunderschönen Symbiose aus asiatischem Mandelauge und europäischer Abendland-Genetik,
- designed von Professor Schüttgen.
Das Wunder der modernen Lasermedizin, implantierte himmelblaue Irislinsen. Ihre Augenbrauen mit diesem atemberaubend eleganten Bogen wurden mit einem kleinen Schnitt und kaum sichtbarer Narbe
von Professor Wimmer ein kleines Stück zur Stirn verlegt,
die Gesichtshaut hinter den angelegten Ohren gestrafft und neu gespannt, und schmeichelten nun pfirsichsanft den Fingerspitzen.
Ihre Wimpern waren von wirklich klassischer Schlichtheit und Fülle,
seidig und von Elisabeth Arden.
Das Haar war designed und schimmernd gefärbt von Luigi,
denn sie ließ es von niemanden berühren, - außer ihm.
Selten war ein Profil so zauberhaft wie das ihre, mit diesen exotisch gemeißelten Wangenknochen, und dem perfekt geformten Näschen,
die beide von Professor Mang gestaltet wurden.
Auch ihre Brust stammte von seiner Hand, so fest und straff, dass kein Bleistift unter ihnen Halt fand, prächtig und wahnselig erotisch, mit kraftvoll mahagonifarbenen Warzen durch Permanent-Tatoo-Make-up, und Eigenfett unterspritzt, so dass sie stets lustvoll erregiert erschienen, mit einem millimetergenauen symmetrischen Delta in der Mitte eines Dekolletes voller sinnlicher Weiblichkeit.

„Ich bin schön, richtig schön ...“

Kein Gramm Fett trug sie zu viel auf den Hüften,
einmal jährlich perfekt abgesaugt von Professor Weber,
der sich dann auch gleich ihrer Oberschenkel und Beine annahm, die wohlgeformt wie ihr straffer Bauch nicht erkennen ließen, dass sie zwei Kinder geboren hatte, -
Tribut an Roland, der unbedingt einen Stammhalter wollte.
Als Gegenleistung wurde ihr Po in wochenlanger Planung designed und realisiert mit einer Silikonkissen-Spezialanfertigung.
Ihre Taille war viel schmaler und dynamischer als noch vor drei Monaten, als sie sich entschlossen hatte zwei Rippen entfernen zu lassen, - durch Professor Küster.
Was für eine Klasse-Idee.
Ihr Schamhaar war handgestylt von Luigi,
in Saharablond gebleicht und mit englisch Golfgras-Schnitt, mit einem atemberaubenden Platin Piercing genau über der Hautfalte ihrer Lustperle.
Ihre Schamlippen wurden jeden Monat mit Nokraatyl Polamid gespritzt, denn so blieben ihre
Nervenenden immer hochsensibilisiert, jede kleinste Berührung ein purer Lustschauer.
Ein hauchfeines Schlangentier-Tatoo in Silbergrau ringelte sich blass und lustvoll um ihren rechten Oberschenkel, so fein und blass, dass es unterhäutisch schien.
Ihre Hand- und Fußnägel schimmerten in Silberperlmutt, der wahrgewordene Männertraum in
feuchtheißen Nächten auf seidenem Laken. Die Jungs von einst, die jetzt Männer waren, würden alles stehen und liegen lassen, nur um in ihrer Nähe weilen zu dürfen.

Eine Stunde später sah sie ihn auf dem Klassentreffen zum ersten Mal seit Jahren wieder, den
Schwarm aller Mädchen aus ihrer Klasse, der jede haben konnte, wenn er nur mit dem Finger
schnippte, der mit dem jungenhaft verschmitzten Lächeln. Er stand bei ein paar anderen, Männer und Frauen, deren Gesichter ihr entfernt bekannt vorkamen. Alle Blicke wandten sich ihr zu, als sie auf die Gruppe zuging, besonders die der Männer, die sie anstarrten, als wäre sie eine Außerirdische. Sie stellte sich genau vor Sascha und sah ihm in sein sprachloses Gesicht.
„Hi, wie geht´s Dir ?“

Er hatte sich nur wenig verändert in den Jahren, bis auf den leichten Bauchansatz, und insgesamt ein wenig mehr Fülle am einstmals schlank muskulösen Leib.
Er war immer noch nicht wirklich schön, nicht sportlich durchtrainiert, sein Hintern akzeptabel, wie sie mit einem schnellen Blick erkannte, seine Beine ein wenig krumm, die Knie knochig, seine Hände langfingrig und sehnig, genau wie früher.
Er ging offensichtlich nur zum Friseur, nicht zum Hair-Designer, -
aber er sah noch immer gut aus.
Und er hatte keine Ahnung, wer sie war.
„Kennst Du mich noch ?“
Aber sein Gesichtsausdruck hatte in Bruchteilen von Sekunden alles verdorben, während alle anderen anwesenden Männer förmlich mit den Augen an ihr klebten, - was sie aber nicht die Spur interessierte.
Da war etwas in seiner Mimik, etwas Abweisendes, - so dass sie nicht einmal dazu kam ihren erhofften Triumph auszukosten, ihm ihren Namen zu nennen.
Er hatte sie von oben bis unten angesehen, nichtssagend gelächelt und sich einer etwas kleinen, hochschwangeren Frau zugewandt, die ihm warm zulächelte und von ihm zärtlich umarmt wurde.
Sie war nicht besonders schön, ziemlich unauffällig und durchschnittlich, mit Klamotten von der Stange, Massenware. Aber sie hatte die ganze Aufmerksamkeit von Sascha, dem Jungen, der sie früher und jetzt nur eines abschätzenden Blickes gewürdigt hatte. Einmal wandte er sich ihr noch zu, zog ein wenig die Stirn in Falten, und bedachte sie wieder mit diesem abschätzenden Blick, dann wandte er sich wieder dieser hochschwangeren Frau zu.
Jetzt hatte sie wieder verloren, denn aus dem eben noch fassungslos starrenden Gesicht wurde das eines liebenden Ehemannes und werdenden Vaters.
Sie hätte zu gerne gewusst, was er in diesem Moment dachte.
Was wollte sie hier ?
Was und wer war sie ?
Eine schöne Frau ?
Eine geliebte Ehefrau ?
Sie war als einzige ohne Begleitung gekommen.
Sie sah Saschas Gesicht einmal ganz kurz, las die Frage darin, die Irritation.

Seine Welt war noch immer nicht die ihre ...


© 2006 by Hans Brakhage
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