Die Waschstraße
Die Zahl der Pensionisten steigt mit jedem Jahr, wie jene der
Arbeitslosen auch – aber Kinder kommen viel zu wenige nach. Das bringt
nicht nur die Alterspyramiden ins Wanken, nein, das haut auch das
Pensionssystem europaweit über den Haufen.
Regierungen, Sozialminister, Gewerkschafter, Soziologen,
Finanzmathematiker, Statistiker, Mediziner usw. sind seit Jahren am
Überlegen und am Wort. Es kommen keine verwertbaren Vorschläge heraus,
auch keine Ideen. Leise verklingt da jene Stimme, die zu mehr
Auszubildenden in der Altenbetreuung und in den Pflegeberufen rät.
Sie wird durch die Zusammenlegung von Spitälern und
Intensivbetteneinsparung glatt übertönt.
Warum auch nicht? Im Gegenteil. Man arbeitet schon seit geraumer Zeit an
Konzepten, wie man die Alten in den Bettenstationen wird ohne Gebrauch
von Angestellten maschinell säubern können. Also praktische eine
Waschanlage für jene, die sich nur mehr eingeschränkt oder gar nicht
mehr bewegen können. Man tüftelt also an einer Waschstraße für die
überaltrige Generation!
Das ist kein Witz, meine Lieben. Ich kenne Gegend und Firma, die mit
Hochdruck an den Konzepten arbeitet und bereits daran ist, die
erwarteten Erträge und Gewinne zu maximieren.
Mir wird also in ein paar Jahren keine Hilfskrankenschwester aus
Ostasien den verdreckten Hintern wischen, nein, mich werden sie schon
täglich ein- bis zweimal durch die schaumgetränkten Silikonbürsten
schicken.
Herrgott, lass mich noch vorher rasch abkratzen!
* * * * *
Mikrofontest
Im riesigen 6-Sterne-Hotel werden die letzten Vorbereitungen für den
diesjährigen internationalen Banker-Kongress getroffen. Die Bonzen und
Schieber aller großen Nationen sind wieder einmal zusammengekommen.
Langsam füllt sich der 2000sitzige Saal.
Ein Delegierter der größten hiesigen Landesbank tritt, während es im
Saal noch unverbindlich summt und hier und da hell aufgelacht wird, ans
Mikro und testet dieses mit den Worten:
„Wir werden demnächst 100 Milliarden vom Markt nehmen“.
Die Anlage scheint gut in Schuss zu sein, die Lautsprecher funktionieren
ohne Rückkopplung. So soll es sein!
Nach einer knappen Viertelstunde, das Auditorium ist bis auf den letzten
Sitzplatz gefüllt, tritt der Präsident ans Rednerpult, begrüßt die
Anwesenden und umreißt kurz die Schwerpunkte, der kommenden drei Tage.
Dann kommt der Abgesandte Brasiliens an die Reihe, nach ihm spricht der
Vertreter Italiens usw.
Und als die Herrn ermüdet zum Lunch aufbrechen, sind die Börsen weltweit
um knapp 10 Prozent gefallen. Ein Crash von nie dagewesener Intensität
zeichnet sich ab. Man rätselt lang und breit, bis man gegen Ende des
Symposions den einheimischen Vertreter als Ursache ausmacht: Für ihn
wäre es wohl sinnvoller gewesen beim alt hergebrachten Mikrotest, der da
lautet „Sprechprobe, eins, zwei, drei“, zu bleiben, als etwas von 100
Milliarden zu faseln!
Aber nachher ist man ja immer klüger.
* * * * *
Ein Freund
„Nein, du kannst ihn nicht sprechen, er schläft gerade. Eigentlich wirst
du ihn überhaupt nicht mehr sprechen können“, flüstert Karin, Peters
Frau, ins Telefon.
Peter ist mein Freund, wenige Wochen älter als ich. Wir kennen einander
seit knapp 50 Jahren – mit Unterbrechungen, die ihren Ursprung in
Familiengründung und beruflicher Laufbahn hatten. Seit knapp 2 Jahren
ist nun auch Peter in Pension. Hat sein Leben lang in großen technischen
Konzernen mit profundem Wissen und Können geglänzt und fantastisch
verdient. Die letzten 15 Jahre in der Erdölförderung. Nein, nicht im
Golf von Mexiko!
Wenngleich auch sein Fachgebiet die Tiefbohrungen waren – aber in den
steinigen Untergrund Kanadas und Sibiriens. Dort verbrachte er viele
Monate im Jahr – oft im Permafrost – wo das Bohren und Leben auch nicht
gerade leicht fallen. Am Arsch der Welt, sozusagen.
Er hat mir oft davon erzählt und mir auf seinem Laptop jene Programme
gezeigt, mit denen man die Verzweigungen der Bohrkanäle in Tausenden
Metern Tiefe grafisch darstellen konnte. Mit all den Kräften, die auf
das Gestänge, die Gelenke, die Motoren und Kupplungen und weiß der
Teufel, was sonst noch, einwirken. Und diese Programme hat er selbst
geschrieben und laufend verbessert und den geänderten geologischen
Verhältnissen vor Ort angepasst. Für mich eine unvorstellbare Leistung!
Und ich bin auch kein mathematischer Vollidiot.
Und mit seinem Ruhestand wurden auch unsere Kontakte wieder zahlreicher.
Peter teilte so einige Vorlieben mit mir: Fotografie, PC,
Fotobearbeitung, Jazzmusik und Lesen. Bei ihm kam auch noch ein
gerüttelt Maß an sportlicher Aktivität hinzu, womit er aber bei mir
nicht punkten konnte. Ich halte es da lieber mit dem alten Winston
Churchill: „No sports!“
Von seinen Segelturns und Tauchgängen rund um den Globus brachte er
wunderbare Unterwasseraufnahmen mit, die nur durch Zufall nicht den Weg
in „National Geographics“ fanden.
Er war ein knappes Jahr in Rente, als das mit seinen Bauchschmerzen
anfing. Eine schier endlose Befundreihe wurde erstellt. Ohne
nennenswertes Ergebnis. Er verlor an Gewicht. Dann stellte man eine
kleine Unregelmäßigkeit im Bereich Leber und Galle fest.
Er suchte die besten Kliniken auf, unterzog sich sehr mühsamen
Untersuchungen, legte sich ins größte Klinikum des Landes. Irgendetwas
drückte auf die Gallengänge, er bekam Gelbsucht. Dann stand die Ursache
plötzlich fest: Tumor in der Bauchspeicheldrüse.
Die in solchen Fällen übliche Tortour begann und endete mit einer Chemo,
auf die mein Freund leider so gar nicht ansprach. Er konnte kaum mehr
etwas essen, und kotze das Wenige gleich wieder aus. Er hatte über 30 kg
abgenommen. Das war vor drei Wochen und damals hatte ich ihn zum letzten
Mal selbst am Telefon. Er klang verdammt nach Abschied. Wie ich heute
weiß, war es ein Abschied für immer.
Leb wohl, Peter – sei tapfer, Karin!
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