Joschi und der Hummer
In der Schule läuft es nach über 30 Dienstjahren recht locker und leicht
für mich. Ich habe genug Erfahrung mit den Jugendlichen, stehe gottlob
turmhoch über dem Lehrstoff, wie es mein Lieblingsprofessor in der
Ausbildung stets von uns forderte, und die anfängliche Unsicherheit ist
lockerer Routine gewichen. Ich finde sogar Zeit neben meiner schulischen
Tätigkeiten ein wenig an der Börse zu spekulieren; natürlich mit Geld,
das ich die nächsten fünf Jahre nicht brauchen werde. Das ist eine
eiserne Regel, die ich von meinem Kollegen Peter früh übernommen habe,
und an die ich mich noch heute halte.
Eben unterrichte ich Biologie in meiner Klasse – es sind 30
Vierzehnjährige -, da geht die Tür auf und Joschi, mein Pizzawirt, tritt
mit einem Kübel in der Hand ins Klassenzimmer.
„Hey, das ist aber eine Überraschung, Joschi! Wie kommst du hierher?
Hier hast du mich doch noch nie besucht!“ Ich bin wirklich geschockt.
Was hat Joschi da nur ausgeheckt und was bringt er in dem Kübel mit?
Auch die Kinder sind überrascht, denn sie kennen Joschi nicht, haben ihn
hier noch nie gesehen. Was für einen Freund hat der Klassenvorstand denn
da wieder aufgerissen? Aber sie sind brav und verhalten sich ruhig.
„Du bist recht leicht zu finden. Die Schuladresse hatte ich ja, in der
Kanzlei hat man mir die Klasse verraten und hier bin ich. Und wie ich
sehe, unterrichtest du grade Biologie, da passt recht gut, was ich dir
hier mitbringe.“
Damit wuchtet er den mit Wasser gefüllten Kübel auf den ersten Tisch, an
dem zwei Mädchen sitzen, es plätschert ein wenig, dann kreischen die
beiden Mädels auch schon auf. Aus dem Wasser taucht nämlich ein riesiges
Krebstier mit vorne zusammengebundenen Scheren auf. Ein Hummer! Ein
lebender Hummer!
Langsam legt sich die Aufregung, ebenso langsam bewegt das Tier seine
Fühler und die Scheren.
„Ich hoffe, du glaubst mir nun, dass meine Hummer im Lokal stets frisch
auf den Tisch kommen!“
„Kein Zweifel, mein Freund, der zappelnde Beweis steht ja hier vor mir.“
Joschi wendet sich zur Tür: „Und ich hoffe nur, du kennst dich mit
seiner Zubereitung aus und er schmeckt dir dann auch. Ich schenke dir
den munteren Burschen, so wie er ist.“ Damit winkt er in die Klasse und
ist durch die Tür.
Jetzt ist für die Kinder eine Erklärung fällig.
„Das ist mein Wirt, bei dem ich fast jeden Tag esse“, beginne ich meine
Geschichte. „Wir kennen daher einander schon lange. Er verkauft
hauptsächlich Pizzas, Spaghetti, Lasagne, Fisch und eben auch Hummer.
Ich habe bei ihm schon alles von der Speisenkarte gegessen, außer Hummer
eben. Er hat ihn mir schon oft einreden wollen, ich habe aber stets mit
dem Hinweis abgelehnt, dass die Krebstiere unmöglich frisch sein können,
bis sie bei ihm auf dem Teller landen. Er hat mir zwar versichert, dass
er die Hummer mit dem Flugzeug direkt vom Fang zu sich einfliegen lässt,
aber ich habe ihm nicht geglaubt. Und das ist jetzt zum Beweis seine
Antwort. Ich habe selbst nicht gewusst, dass er in unsere Klasse kommen
könnte.“
„Was machen sie jetzt mit dem Tier, Herr Klassenvorstand? Werden sie ihn
essen?“
Es läutet, und ich erspare mir die Antwort und entlasse meine Schüler
nach Hause, denn das war für heute ihre letzte Unterrichtsstunde. Nur
Herta lässt sich Zeit, es scheint, als warte sie, bis ihre Mitschüler
draußen sind. Dann tritt sie an mich heran und fragt mich, ob sie mir
mit dem Hummer helfen kann. Sie muss wohl meine unschlüssigen Blicke zum
Kübel bemerkt haben.
„Wie willst du mir denn helfen, Herta?“
„Ich könnte im Auto den Kübel mit dem Hummer halten, denn sonst kommen
Sie damit nie bis nach Hause. Und ich kenne mich auch mit der
Zubereitung aus. Meine Vater hat so ein Tier schon mal ganz köstlich
gekocht.“
„Wenn du meinst. Musst du nach dem Unterricht nicht gleich nach Hause
gehen? Deine Eltern könnten sich Sorgen machen!“
„Das ist kein Problem, Mutter ist bei der Oma in Linz und mein Vater
kommt erst nach sechs von der Arbeit heim.“
„Na gut, dann nimm bitte meine Tasche und deine Schulsachen, damit ich
den Kübel zum Auto tragen kann.“
Herta fühlt sich wie eine Königin in meinem blauen MX-5, mit dem Kübel
zwischen ihren Beinen.
In wenigen Minuten sind wir bei mir zu Hause und stellen meinen größten
Topf mit Wasser auf den Herd. Dann kommt der gruselige Teil der
Geschichte, und ich schwöre bei mir: So etwas mach ich NIE mehr wieder!
Wir waschen das sich in Zeitlupe bewegende Tier unter fließendem Wasser,
ich halte den Lobster, während Herta mit einer Schere die Gummibänder,
die seine Scheren zusammenhalten, durchtrennt. Dann lege ich das Tier
auf ein Schneidbrett und betäube es mit einem harten Schlag auf den
Kopf. Ich zittere am ganzen Körper, ich bin eben ein Weichei. Herta
sieht meine Unsicherheit.
„Jetzt müssen Sie das Tier mit dem Kopf voran in das siedende Salzwasser
stecken und komplett untertauchen.“
„Und dann ?“
„Jetzt aufkochen und noch gut 10 Minuten ziehen lassen. Dann raus nehmen
und mit dem richtigen Werkzeug sich ans Fleisch vorarbeiten.“
„Herta, ich hab doch kein geeignetes Werkzeug für ‘nen Hummer, nur
gewöhnliches Werkzeug!“
„Das geht auch, Papa macht das mit der gewöhnlichen Zange und zwei
spitzen Messern.“
„Hilfst du mir dabei und beim Essen?“
Herta willigt ein. Trotzdem bleibt verdammt wenig Fleisch von dem großen
Tier übrig. Mit den paar Gewürzen und der Soße, die ich im Eiskasten
finde, schmeckt die Geschichte halbwegs, aber dieser Vorfall bleibt mir
eine Lehre für mein restliches Leben: Ich werde so ein Tier nie mehr
selbst zubereiten oder essen!
Der PC im Vormarsch
Vielen von uns liegt zur Zeit ein anderes Problem im Magen: Der
Computerkurs. Schrittweise sollen nämlich alle Schulen Wiens mit PCs und
in weiterer Folge mit Internetanschluss ausgestattet werden. Habe ich
doch einmal aufs richtige Pferd gesetzt. Die Schulleitung teilt uns mit,
dass alle Kollegen diesen Kurs besuchen müssen. Für die ersten vier von
uns beginnt die Sache schon nächste Woche. Als diese abgeschlossen
haben, frage ich eine Kollegin aus dieser Gruppe, wie viel sie gelernt
hat und ob sie sich jetzt auskennt.
„Helmut, ich hab keine Ahnung, weiß nicht einmal, wo ich die Kiste
einschalte!“
Das ist ernüchternd, aber auch wieder verständlich. Die Lehrer haben
noch keinen eigenen PC. An der Schule steht nur ein Gerät in der
Kanzlei. Ich bin der einzige unter uns Lehrern, der sich vor einiger
Zeit ein privates Gerät zugelegt hat und schon viel Zeit in die
Anwendung gesteckt hat. Ich bin auch der einzige Kollege, der nicht in
diesen Einführungskurs geschickt wird. Wozu auch? Wahrscheinlich könnte
ich so einen Kurs besser leiten als jeder andere. Aber wozu? Es wird
noch Jahre dauern, bis der PC zu einem notwendigen Werkzeug wird, bis er
so klein und leicht wird, dass man ihn in der Hosentasche mit sich wird
tragen, mit ihm sogar telefonieren und fotografieren wird können. Und
dann wird er uns zu fernen Himmelskörpern führen, wird an Orten und
unter Umständen arbeiten, die sich heute noch kein Mensch vorstellen
kann.
Die Pariser Wohnung
Da flattert mir eines Tages eine Email auf meinen PC. Dazu muss man
wissen, dass ich mir sehr früh einen Internetzugang mit eigener Homepage
zugelegt habe. Die meisten meiner Kollegen lehnen diese überragende
Technik aus Bequemlichkeit oder Unwissenheit noch ab. Wie oft habe ich
hören müssen „Bleib mir mit diesem Kastl vom Leib“ oder „Das brauche ich
nicht mehr, ich geh eh schon in drei Jahren in Pension“. Ich aber ahne,
welch kolossale Umwälzung dieses Medium mit sich bringen wird und bin
also von Anfang an dabei. Ich beherrsche die Technik bis zu einem
gewissen Grad, während viele noch mit dem Einschalten eines Computers
ihre Schwierigkeiten haben.
Meine Homepage – sie ist heute noch unter www.schida.at erreichbar –
fülle ich mit den Ergebnissen meiner Hobbies, die da sind: Fotografie,
Malerei und Underground-Literatur. Natürlich kommt es nicht nur in
diesem Medium darauf an, wie man seine Inhalte präsentiert. Darauf achte
ich besonders bei meinem neuen Hobby. So dauert es auch gar nicht lange,
und meine frühe Internettätigkeit wird weltweit wahrgenommen, wie einige
Reaktionen beweisen. So fragt mittels oben erwähnter Email ein
Dichterkollege aus Deutschland an, ob ich ihm für seine Texte nicht auch
eine so schöne Homepage anfertigen könnte. Natürlich gegen Bezahlung.
Wir klären die Details ab, Ulrich schickt mir seine Texte und Bilder und
ich habe die nächsten Wochen wieder viel zu tun.
Als die Arbeit nach einigen Korrekturen und Erweiterungen im Netz steht,
meint Ulrich: „Du Helmut, ich kann Dir Deine Arbeit natürlich bezahlen,
aber ich mache Dir folgenden alternativen Vorschlag: Du kannst
stattdessen auf Lebenszeit meine Pariser Wohnung am Montmartre nutzen.
Bis auf die paar Wochen im Jahr, wo ich sie selbst bewohne. Möchtest Du
das?“
Da hat der Uli aber mitten in mein frankophiles Herz getroffen. Klar
will ich das! So vergeht keine Woche, und der Wohnungsschlüssel samt
Adresse und Code für die Haustüre liegt in meinem Postkasten. Ich kenne
die Gegend von meinen zahlreichen Parisbesuchen. Die Gasse liegt am
Nordabhang des Montmartre – die Gegend ist super! Südabhang wäre nicht
so gut, denn dort fließt tagaus, tagein der Touristenstrom zwischen
Sacré Coeur und Pigalle. Ich buche für die nächsten paar schulfreien
Tage einen Flug nach Paris und sehe mir gleich mal die Wohnung an. Noch
nie bin ich so aufgeregt nach Paris geflogen, sieht man mal von der
Reise als Neunzehnjähriger ab.
… warum wohl? Hier solltest du
spätestens das Buch bestellen:
helmut@schida.at
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