Klaus und Erika
Im RG 6 hatte ich wieder ein Schuljahr ohne gröbere Probleme geschafft,
wenn man von der Turnnote mal absieht, und meine Mutter und ich durften
wieder einen Monat lang Urlaub machen.
Seit zwei Jahren schon fuhren wir nicht mehr auf den Semmering. Klaus
und Familie hatten Mönichkirchen als neuen Ort der Entspannung und
Erholung ausgewählt und meine Mutter und ich folgten ihnen nun dorthin.
Die Bubenfreundschaft hatte sich gefestigt. Klaus war inzwischen in die
Oberstufe seines Gymnasiums gewechselt, während ich das letzte Jahr der
Unterstufe noch vor mir hatte. Das Autozählen und die Strichellisten
hatten wir längst aufgegeben, für Klaus wurde langsam das andere
Geschlecht viel interessanter, noch dazu wo ein knapp 15jähriges Mädchen
mit ihrer Mutter in der gleichen Pension auf der Mönichkirchner Schwaig
urlaubte.
Erika, so hieß die Wunderbare, hatte langes goldbraunes Haar, das sie
offen trug, wenn sie hinterm Haus am Waldrand ihrer Gitarre die
betörendsten Töne entlockte. Klaus und ich bewunderten diese göttliche
Muse aus der Ferne, anzusprechen wagten wir sie eine Woche lang nicht.
Da zwang uns eines schwülen Nachmittags ein unvermutet aufgezogenes
Gewitter mit schlagartig einsetzendem Wolkenbruch, Unterschlupf in einer
Scheune zu suchen: Erika, Klaus und ich. Die leichte Bluse klebte an
Erikas Körper und modellierte ihre Kurven derart, dass uns beiden Buben
schwindlig wurde. Doch es kam noch besser. Erika verschwand hinter einem
Stapel aus Strohballen und entledigte sich ihrer nassen Sachen. Dabei
kam es mir so vor, dass sie es absichtlich so anstellte, dass wir vollen
Einblick in ihren Sichtschutz aus Stroh genießen konnten. Sie warf uns
auch den einen oder anderen Blick zu, nur um sich zu vergewissern, ob
wir auch ja zu ihr hinsahen. Und das taten wir natürlich gebannt, mit
roten Ohren und ohne Pause.
Da hörten wir von weitem Stimmen, die nach uns riefen. Sie gehörten
ihren und unseren Eltern. Hastig kleidete sich Erika an, flüsterte Klaus
noch etwas ins Ohr, während ich das Scheunentor öffnete und die Alten
den steilen Weg zur Scheune hochtraben sah. Fürs Erste hatten wir ein
paar entzückte Blicke auf das Wunder des anderen Geschlechts werfen
können.
Nach dem Abendessen fragte ich Klaus, was ihm denn Erika in der Scheune
noch so schnell und heimlich anvertraut hatte.
„Wir sollen sie morgen um 3 wieder in der Scheune treffen, sie will uns
mehr von ihren Dingern zeigen.“
Nun hatten wir Buben auf einmal viel zu besprechen.
„Gehen wir morgen wirklich zu der Scheune?“ „Was sollen wir dort
machen?“ „Wird uns Erika verschaukeln?“ „Was will sie uns noch mehr
zeigen?“
Und da gab es dann am nächsten Tag einiges, das selbst Klaus noch nicht
gesehen haben sollte. Erika geizte nicht mit ihren intimsten Stellen,
besonders dem tollen Busen, den steil aufgerichteten Brustwarzen und den
fast violetten Warzenhöfen. Ich war mit offenem Mund zur Tomate mutiert,
während Klaus mehr die unteren Regionen des Fräuleins inspizierte. Und
dabei hatte Erika nichts dagegen, wenn wir sie hier und da auch mal
anfassten – im Gegenteil, sie schien das alles sehr zu genießen.
Als wir keuchend und schwitzend neben ihr ins Heu sanken, rückte Erika
mit der entscheidenden Frage heraus, die uns wie ein Keulenschlag traf:
„Und jetzt zeigt ihr zwei mir eure Dinger da unten, hm?“ Dabei zeigte
sie mit der rechten Hand auf den Latz meiner kleinen Lederhose.
Während ich starr vor Schreck keinen Laut herausbrachte, druckste Klaus
herum: „Müssen wir uns noch überlegen“, „das wird gar nicht so leicht“,
„wir sollten uns mal wieder bei den Alten zeigen, sonst suchen die uns
wieder“, „so wie gestern.“
Erika roch den Braten sofort, erkannte, dass sie es mit blutigen
Anfängern zu tun hatte, verlachte uns und verließ die Scheune für immer.
Am Samstag darauf reisten sie und ihre Eltern ab, und ich schäme mich
heute noch für unsere Feigheit von damals. Hätten wir etwas mehr Mut
gezeigt – vieles in unserm Leben wäre anders gekommen.
Damals hatte ich erstmals das Gefühl, das andere Geschlecht wäre
kompliziert, und nicht leicht zu verstehen und uns „Männern“ weit
überlegen.
Und dieses Gefühl sollte sich im Lauf meines Lebens immer wieder
einstellen und an Wucht noch immens zunehmen.
* * * * *
Hauptschule -
Bekleidungsparagraph
In dieser Zeit des Umbruchs, Neubeginns und der brisanten Erfahrungen
wurde ich von der Volksschule in die Hauptschule versetzt. War das eine
Umstellung!
Zu allererst nahm mich der Direktor der Schule genau unter die Lupe. Ich
war Anfang September „der Neue“ und der Chef wollte sicherstellen, dass
ich auch in sein eingespieltes Lehrerteam passte. Er legte mir klar, wie
seine Konferenzen seit Menschengedenken abliefen, was ich an seiner
Schule zu tun und zu lassen hatte, wie ich mich in Gesprächen mit Eltern
zu verhalten hatte und vieles mehr.
Stutzig wurde ich als er mir ein eng bedrucktes A4-Blatt vorlegte, das
den Titel „Bekleidungsvorschriften für Lehrpersonen“ trug. Man durfte
dieses Blatt nicht einfach überfliegen, nein dieser Erlass des
Stadtschulrates für Wien, musste nachweislich zur Kenntnis gebracht
werden. Wissen Sie, was das bedeutet?
Nein? Dann will ich es gerne erklären.
Man musste den Text im Beisein des Vorgesetzten lesen und dann mit
seiner Unterschrift zur Kenntnis nehmen. Das Blatt wurde dann in der
Kanzlei bei den Erlässen abgelegt und ich vermute, dass auch im
Berzirksschulrat oder gar noch höher eine Kopie davon heute noch
existiert.
Nachdem ich alle Weisungen meines neuen Direktors teils auch
nachweislich zur Kenntnis genommen hatte, konnte ich mich meiner
eigentlichen Aufgabe zuwenden und mich mit den inneren Abläufen des
Hauses vertraut machen.
Die Schule wurde nur von Knaben besucht, der Lehrkörper bestand nur aus
Männern, dementsprechend hart ging es hier manchmal zu.
Ich war wie schon einmal vor ein paar Jahren der jüngste Lehrer im Team,
dementsprechend wurde ich mit Klassen und Fächern eingedeckt, die sonst
keiner unterrichten wollte. Das ist aber überall so: den Letzten beißen
die Hunde!
Ein einziger Kollege, Franz K., nahm sich meiner an, als er sah, mit
welchen Schwierigkeiten ich zu kämpfen hatte. Und ihm allein war es zu
verdanken, dass ich den Lehrberuf an dieser Schule nicht schnell an den
Nagel hängte.
Anhand des Stundenplans, der sich oft änderte, sah mein Kollege, dass
ich für eine fürchterliche 3. Klasse eingeteilt war – seine Klasse. Und
das in zwei Stunden. Er nahm mich also zur Seite:
„Helmut, wenn du das erste Mal in die 3b kommst, dann gebe ich dir einen
guten Rat. Die Jungs wissen, dass da der Neue kommt und werden
versuchen, dich fertig zu machen. Da bist du in 5 Minuten unten durch.
Aber das möchte ich vermeiden.“
„Und wie soll ich das anstellen?“
„Ganz einfach. Du gehst gleich nach dem Läuten in die Klasse. Es wird
ein fürchterliches Chaos herrschen, sie werden dich nicht einmal zur
Kenntnis nehmen. So sind die mal. Wie wilde Tiere. Aber lass dich nicht
beirren. Links vorne an der Ecke sollte ein großer Blonder sitzen oder
stehen. Auf den gehst du zielstrebig zu und haust ihm ordentlich eine
rein.“
„Franz, das kann ich nicht machen. Da verliere ich meinen Posten.“
„Du hast keine Wahl, das sind jetzt schon kleine Verbrecher, die nur die
Sprache der Gewalt verstehen. Und der Blonde ist ihr Anführer. Nur wenn
du den knackst, dann hast du sie für immer in der Hand.“
Das waren ja schöne Aussichten! Warum hatte ich davon während meiner
fünfjährigen Ausbildung nichts gehört?
Die Stunde rückte unerbittlich näher. Dritte Stunde Mathe in der 3b.
Kaum hatte die Glocke die Pause ausgeläutet, betrat ich die Klasse, die
einem Narrenturm glich. Wie Franz es vorausgesagt hatte, nahm mich
niemand zur Kenntnis, es wurde gegrölt, gelaufen und hinten prügelten
sich zwei Knaben ganz ordentlich.
Ich suchte den blonden Longinus, der mir den Rücken zuwandte und
verkehrt herum auf dem Tisch saß. Schon war ich bei ihm und versetzte
ihm eine schallende Ohrfeige, bevor er noch wusste, wie ihm eigentlich
geschah.
Blankes Entsetzen in den Gesichtern jener, die die Szene mitgekriegt
hatten.
Langsam ging ich zum Lehrertisch, legte mit gekonntem Schwung meine
Tasche dort ab, auch wenn ich mir fast in die Hose gepisst hätte. Es war
totenstill im Raum, jeder schlich zu seinem angestammten Platz und nahm
Aufstellung bei seinem Sessel.
Wahnsinn, dass einer so schnell ihren Capo ausgemacht und ihn für nichts
und wieder nichts ordentlich die Fresse poliert hatte. Das war ihnen
unbegreiflich. Mir auch.
Es bedurfte nur eines kleines Zeichens mit meiner linken Hand, alle
setzten sich still hin und ich konnte mit dem Unterricht beginnen.
Ich bin heute noch meinem damaligen Kollegen Franz – er ist schon viele
Jahre tot - für seinen lebensrettenden Rat dankbar. Auch hatte ich
seitdem den Ruf des strengen Allwissenden, der sich noch über Jahre hin
von Klasse zu Klasse verbreitete und mir vorauseilte.
Natürlich kamen zukünftige Klassen rasch dahinter, dass der Mathelehrer
gar nicht so arg war, wie befürchtet, aber ich kann sagen, ich hatte
wirklich zeitlebens ein gutes Verhältnis zu den Kindern bei
gleichzeitigem Respekt. Denn ohne Regeln und Disziplin kann die Führung
der heranwachsenden Generation nicht klappen. Die heutigen Zustände an
den Schulen beweisen das nur zu deutlich.
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